„Die bestehenden ‚Normturnhallen‘ gehören der Vergangenheit an“

Im Interview erklärt der Wiener Architekt Harald Fux, Leiter des Expertenkreises Sporthallen in der IAKS und Partner im Planungsbüro RAUMKUNST ZT, was sich an hergebrachten Sporthallen-Konzepten ändern muss und bereits ändert. Demzufolge sollten auch die kommunalen Bauherren umdenken.

Harald Fux
Harald Fux Bild: RAUMKUNST ZT
Sportplatzwelt: Was macht der Expertenkreis Sporthallen der IAKS und welche Rolle nehmen Sie persönlich ein?
Fux: Der Expertenkreis Sporthallen bringt das Thema Sporthalle in grundsätzlicher Auseinandersetzung mit der Bauaufgabe und deren Zukunft auf eine internationale Expertenebene. Der Expertenkreis hat etwa 15 Mitglieder. Ich leite den Expertenkreis seit Beginn 2019.

Sportplatzwelt: Was ändert sich in der Sporthallen-Planung?
Fux: In den ersten beiden Jahren haben wir uns im Expertenkreis über neue Modelle des Baus, der Renovierung und der Programmierung von Sporthallen gekümmert. Hierbei konnten wir feststellen, dass in den sehr aktiven Ländern Deutschland, Schweiz, Dänemark, Schweden, Kanada und Österreich, der Wunsch und die klare Ansage ist, dass die bestehenden „Normturnhallen“ der Vergangenheit angehören. Die einzelnen Länder, insbesondere Dänemark, Schweden und wir in Österreich, haben unabhängig voneinander bereits neue Module für Sporthallen entwickelt und probieren diese nun aus.

Sportplatzwelt: Welche Tendenzen sollten als modifizierte Regelbauweisen oder zumindest Empfehlungen in den Mainstream übergehen?
Fux: Zuallererst sehen wir die Notwendigkeit, die grundsätzliche Frage des Baus von Sporthallen und letztlich deren Größe, Layout und Programmierung durch einen möglichst partizipativen und professionell begleiteten Vorgang der Bedarfs- und Grundlagenermittlung zu beleuchten und daraus das Sporthallenprogramm zu entwickeln. Insbesondere heute, wo die Grundversorgung mit Sporthallen gegeben ist, stellt sich die Individualität der Sporthalle als wichtigste Grundvoraussetzung für die sportliche Treffsicherheit einer Sporthalle heraus.

Sportplatzwelt: Können Sie darauf einwirken z. B. Baunormen anzupassen?
Fux: Einige Mitglieder des Expertenkreises sind auch in den nationale Normungsgremien vertreten – ich auch. Derzeit darf ich im Austrian Standards Institute die Arbeitsgruppe für die Neufassung einer Neuen Sporthallennorm leiten. Auch Robin Kähler aus Deutschland vertritt beispielsweise den IAKS in der Normung, aber auch Mitglieder aus Schweden und Dänemark erarbeiten in Ihrem Wirken Empfehlungen und Richtlinien, die Neue Sporthallenkonzepte ermöglichen sollen.

Flächen neu gedacht und anders gemacht.
Flächen neu gedacht und anders gemacht. Bild: Hertha Hurnaus

Sportplatzwelt: Sehen Sie relevante technische Entwicklungen?
Fux: Besonders interessant werden Entwicklungen, die die Digitalisierung in die Sporthallen bringen. Boden und Wand beispielsweise werden zunehmend interaktiv bespielbar sein und so den Sportunterricht bereichern können. Dies ist auch für das (Leistungs-)Training hochinteressant. Es wird sozusagen gelingen, die virtuelle und gebaute Welt in den Sporthallen der Zukunft zusammenzuführen.

Sportplatzwelt: Konkret: An welchen Stellschrauben der Sporthallenplanung möchten Sie drehen?
Fux: Grundsätzlich wird an den Größen und Modulen grundsätzlich gedreht werden. Sporthallengrößen werden zunehmend durch andere Faktoren wie Lehrpläne und Lauflängen definiert werden und nicht mehr nur von den Maßen der Ballspielarten abgeleitet werden.

Die einzelnen Länder gehen hier unterschiedliche Wege bzw. bringen die Experten unterschiedliche Herangehensweisen in die Gruppe ein. Wir sehen Modelle von sehr großen Hallen mit vielfältigem Angebot im Ball- wie auch Gerät- und Motoriksport. Oftmals werden hier, wie in Schweden derzeit vorgeschlagen, dennoch Spielfeldmaße beispielsweise für Handball um ein Drittel reduziert, um gleichzeitig Platz für andere, gleichzeitige Angebote anzubieten.

In Österreich schlage ich derzeit vor, von Großhallen abzugehen und kompakte, speziell programmierte Hallen anzubieten. Das geht von der klaren Ballspielhalle bis hin zur Boulder- und Motorikhalle, die es bisher so nur als Spezialhalle gab. Klar ist natürlich auch, dass die vereinssportgebundenen Module dort, wo geregelter Sport das Ziel ist, bleiben und ggf. auch adaptiert werden.

Kletterwände: Schon seit Jahren stark im Trend.
Kletterwände: Schon seit Jahren stark im Trend. Bild: Hertha Hurnaus

Sportplatzwelt: Nicht alles lässt sich in einer ONORM, DIN-NORM oder EN oder dem Ausschreibungsrecht etc. erfassen. Sicher müssen sich auch Denkweisen ändern …
Fux: Planer waren bisher aufgrund von Normvorgaben wenig gefordert – sie konnten quasi das Standardporgramm der Normen mehr oder weniger gut abmalen und hatten Ihre Aufgabe erfüllt. Auch wurden bei Sanierungen die sportlichen Inhalte der Hallen wenig, wenn überhaupt, reflektiert.

In Hinkunft muss sich das aufgrund der geänderten Nutzeranforderungen ändern. Sporthallen werden nicht mehr nachhaltig genutzt werden, wenn sie nicht mehr anbieten als das bisherige Standardprogramm, das wie heute tatsächlich als inadäquat einstufen müssen.

In Hinkunft werden die Planer sowohl im Beteiligungsprozess, in der Entwicklung der Programme und letztlich in der architektonischen und technischen Ausarbeitung Know-how erweisen müssen.

Sportplatzwelt: Nun kommt aber der Architekt erst über die Ausschreibung bzw. den Wettbewerb ins Projekt. Müssten Sie nicht zuvor bereits auf einer anderen Ebene bereits auf die Agenda der Kommune für Sportinfrastruktur und Städtebau einwirken?
Fux: Aber sicher! Die Phase 0 wird leider kaum gepflegt – ich nehme hier die Hansestadt Hamburg, für die wir ein White Paper zum Umgang mit der modernen Programmierung von Sporthallen schreiben durften, ausdrücklich aus. Ich rate allen Kommunen und Auftraggebern, vor den Vergabeverfahren zu eruieren, welchen Bedarf Ihre künftigen Nutzer an die Sporthalle haben. Eine ordentliche Bedarfsermittlung muss Wettbewerben und der Entwicklung von Raum- und Funktionsprogrammen voraus gehen.

Sportplatzwelt: Mit Konzepten wie die für Cluster im urbanen Umfeld gehen Sie weit über die Bauplanungen einzelner Sporthallen hinaus. Müssen auch die kommunalen Bauherren standardisierte Prozesse überwinden?
Fux: Ich denke ja – die Sporthalle als Ort, der auch Funktionen der Gemeinschaft aufnimmt, wird kommen. Dies wird einer veränderten Gesellschaft und einem geänderten Sportverhalten gerecht und schafft nachhaltig wirksame Ort und somit sichere Investitionen in die Zukunft der Gemeinschaften.

Die Antworten können und werden sehr unterschiedlich ausfallen. Ist in einem Fall die Sporthalle in Kombination mit einem Anlaufpunkt für die und Bibliothek, kann es in anderem Fall die Kombination mehrerer Sportarten in einem Cluster sein. Allen gemeinsam wird die unbedingte Berücksichtigung von Inklusion und Diversität sein sowie das Bestreben, die Orte zu maßstäblichen, sicheren und angenehmen Orten zu machen.

Sportplatzwelt: Gewinnen Sie Evidenz aus der Forschung, aus Erfahrungen in Projekten oder sind es eher gefühlte Werte, die zugrundeliegen?
Fux: Im Büro RAUMKUNST sind wir ja nunmehr ein Team aus Urbanisten, Architekten, Designern, Sportgeräteentwicklern und Sportwissenschaftlern – hier wird analysiert und recherchiert und dann konzipiert und experimentiert und entwickelt. Die Recherche ist natürlich, so weit es geht, faktenbasiert – aber selbstverständlich wird das kreative Gefühl der Beteiligten immer eine Rolle spielen. In der internen wie auch externen Abstimmung wird mittels Schwarmintelligenz natürlich auch ausgelotet, was letztendlich stimmig und passend ist.

Geräteturnen: Als Grundausbildung heute auf dem Abstellgleis.
Geräteturnen: Als Grundausbildung heute auf dem Abstellgleis. Bild: Hertha Hurnaus

Sportplatzwelt: Es wird beklagt, dass viele Kinder heute körperlich kaum noch in der Lage sind, überhaupt grundlegende Anforderungen des Lehrplans zu erfüllen. Lehrer müssen reagieren, die Sportgeräte-Hersteller reagieren; was ergibt sich hieraus für die Planer?
Fux: Planer müssen zunehmend darauf schauen, Sportangebote niederschwellig und attraktiv zu gestalten, wenn sie insbesondere Kinder aber auch inaktive Erwachsene erreichen wollen. Hier sind althergebrachte Geräte, die bereits besondere körperliche Fähigkeiten erfordern, zunehmend ungeeignet. Das Sportverhalten ist ja auch zunehmend volatiler, vielfältiger und er werden gerne viele verschiedene Sportarten nacheinander ausprobiert. Einseitigkeiten nehmen klar ab.

Trendsportarten werden dann erfolgreich, wenn sie rasch erlernbar sind und Erfolge körperlich wie psychisch zeigen – das spornt an und lädt zur Vertiefung ein! Die Sportpädagogen sind hier gefragt und können – wenn sie mit den Nutzern mitgehen – viel erreichen.

Sportplatzwelt: Die Vereine als Säulen des Sports bröckeln und das Schulsystem bestimmt den Tagesablauf mehr als früher. Wie können zukünftige Sporthallen solchen Entwicklungen gerecht werden und vielleicht auch mehr Nutzergruppen bedienen?
Fux: Die Öffnung der Sporthallen, die meist für die schulische Nutzung gebaut werden, für Vereine aber insbesondere auch Initiativen wird zunehmen wichtiger werden. Das bedeutet unter Umständen, dass wir mehr, aber kleinere Hallen benötigen, weil nicht jede Sportinitiative eine platzbeanspruchende Gruppe sein muss. Akustische Qualität und Abtrennung einzelner Gruppen wird notwendig sein.

Hierfür schlagen wir eben die saubere Grundlagenerhebung und Bedarfsermittlung unter breiter Einbindung vor. Schulen sollten natürlich in der Programmierung von Sporthallen, dort wo sie als Hauptnutzer feststehen, bevorrangt werden – dies zieht dann entsprechend Gruppen, die diese Strukturen nutzen, nach sich.

Differenziert gestaltete Sporträume werden differenzierten Nutzergruppen gerecht werden, davon bin ich überzeugt.

Sportplatzwelt: Ein immer drängenderes Thema ist der gesamte Komplex der Nachhaltigkeit …
Fux: Zunächst möchte ich Nachhaltigkeit, die sich im Grunde ja aus einer Sozial-kulturellen, der wirtschaftlichen und ökologischen Komponente zusammensetzt, im Sinne der Bau-Ökologie und Bau-Ökonomie beleuchten: Viele sagen ja, dass die nachhaltigste Sporthalle die ist, die nicht gebaut wird. Das glaube ich nicht – ganz im Gegenteil. Wir brauchen teilweise neue Hallen, um nicht sanierbaren Bestand zu ersetzen – sollten aber zuvor das jeweilige Sanierungs-Potenzial genau ausloten.

Sanierung ist nachhaltiger als Neubau, weil es ressourcenschonend ist – eine Tatsache, die immer wichtiger wird, insbesondere, wo wir derzeit tatsächlich vor einer in meinem Leben nie da gewesenen Knappheit von Materialien stehen. Diese Tatsache wird aus meiner Sicht den Blick auf Sanierung verändern und deshalb auch zu mehr Nachhaltigkeit führen.

In Sanierung wie auch Neubau stehen uns bereits viele Möglichkeiten des ökologischen Bauens, des schonenden Umgangs mit Materialien und der umweltfreundlichen und auch wirtschaftlichen energetischen Versorgung zur Verfügung. Diese nutzen wir auch. Das nächste ist die Sparsamkeit im Betrieb – Energie, Wasser zum Beispiel und das Beispiel Müllvermeidung.

Die sozio-kulturelle Säule der Nachhaltigkeit ist bei Sporthallen natürlich in der Vielfalt des sportlichen Angebotes, der niederschwelligen Erreich- und Nutzbarkeit sowie der baulichen Umsetzung der Anforderungen an inklusives Design und Diversität gegeben.

Sportplatzwelt: Welche Unterschiede sehen Sie als IAKS-Arbeitskreis auf internationaler Ebene?
Fux: Die Internationalität unseres Arbeitskreises ist wunderbar und lässt es tatsächlich zu, Unterschiede in den Denkweisen zu erfassen und zu diskutieren. Wir stellen fest, dass es in den südlichen Ländern, aber beispielsweise auch in Südamerika, noch ein klares Denken in Richtung der vereinsgebunden (Ball-)Sportarten gibt. Auch Großbritannien ist hier den klaren Mustern, die Sport in England vorgibt, treu und wird dies auch so bald nicht überdenken, wie ich meine.

Sportplatzwelt: Welche Projekte würden Sie als Referenzen für vorbildliche Sporthallen-Konzeptionen nennen?
Fux: Diese Projekte entstehen gerade. In Kopenhagen werden derzeit einige Schulsporthallen mit neuen Konzepten saniert – auf dieses Projekt warten wir gespannt. Die Sporthallen von KEINGART architects in Dänemark sind gute Beispiele und Inspirationen für uns.

Wir konnten mit unseren drei Sporthallen in der Anton-Krieger-Gasse in Wien gerade einen BIG SEE AWARD für Interior Design in der Kategorie CIVIC gewinnen – das freut uns, weil wir diese Projekt als mustergültig für eine sehr einfache Herangehensweise sehen: Von drei Hallen wurde eine Halle als reine Ballspielhalle, eine als Universalhalle und eine Halle als Fun-Sporthalle programmiert. Das Projekt war so erfolgreich, dass es eigentlich den Grundstein für weitere, in der Nutzungscodierung weitreichendere Hallenkonzepte, die derzeit entstehen gebildet hat.

Umgesetzt ist auch die Bewegungshalle in der Schule Längenfeldgasse in Wien. Diese Halle entspricht aufgrund Ihrer grundlegenden Konzeption nicht mehr einer normalen Halle. Sie ist in unterschiedliche Zonen unterteilt und ermöglicht vielfältige körperliche Betätigungen, aber auch Spaß- und Spielelemente. (Sportplatzwelt, 11.08.2022)

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