„Ein Loblied auf die Ehrenamtlichen singen“
Im Interview spricht MdB Dagmar Freitag, Vorsitzende des Sportausschusses des Deutschen Bundestags, über die Auswirkungen der Corona-Krise auf die deutsche Sportlandschaft.
Freitag: Klar ist, dass unsere Sportstätten im Land Investitionen benötigen, denn da sieht es in der Tat mittlerweile in vielen Kommunen nicht wirklich gut aus. Auch wenn völlig klar ist, dass hierfür in erster Linie die Bundesländer und die Kommunen selbst in der Verantwortung sind, hat der Bund bereits vor der Corona-Krise ein entsprechendes Investitionsprogramm zur Sanierung von Sportanlagen aufgelegt und nun im Rahmen des Nachtragshaushalts noch einmal kräftig nachgelegt. Gemeinsam mit den Ländern und Kommunen werden damit Investitionen angestoßen, die zu Modernisierungen etlicher Sportstätten führen werden. Ich werbe aber dafür, auch immer ganz genau hinzuschauen, was vor Ort wirklich benötigt wird. Nicht überall sind eine prestigeträchtige und architektonisch interessante Dreifelder-Sporthalle und erst recht nicht ein neues Spaßbad notwendig – man muss schon schauen, was zweckmäßig und für die kommenden Nutzungsjahre vor allem mit Blick auf die Folgekosten finanzierbar ist.
Sportplatzwelt: Während die finanzielle Notlage einiger Profisport-Vereine aufgrund der Corona-Krise immer wieder medial thematisiert wurde, hat sich die Berichterstattung zur Lage deutscher Breitensportvereine vergleichsweise bedeckt gehalten. Wie ernst ist bzw. war die Lage für Vereine des Breitensports?
Freitag: Wir hatten neben Vertretern der (semi-)professionellen Vereine der Teamsportarten auch den Deutschen Olympischen Sportbund (DOSB) im Sportausschuss des Bundestages zu Gast, der ein sehr düsteres Bild gezeichnet hat. DOSB-Präsident Hörmann sprach von „purer Angst“, die in der Sportlandschaft herrschen sollte. Ich neige da eher zu einer realistischen Bestandsaufnahme, da wir nicht nur über unterschiedliche Sportarten, sondern auch über ebenso unterschiedliche Vereinsstrukturen reden. Wir haben ja das Glück, dass unsere Sportvereine vor Ort in der Regel sehr solide aufgestellt sind, durch Ehrenamtliche geführt und von treuen Vereinsmitgliedern zusammengehalten werden. Der typische Sportverein vor Ort ist ja für seine Mitglieder oftmals auch ein soziales Umfeld – und da tritt man nicht so einfach aus. Diese Erkenntnis lassen die bisherigen Umfragen jedenfalls zu. Das hat die Sprecherin der Landessportbünde, Elvira Menzer-Haasis, im Sportausschuss auch entsprechend bestätigt.
Sportplatzwelt: Der Haushaltsausschuss des Deutschen Bundestags hat jüngst umfassende Überbrückungshilfen und Förderprogramme in Millionenhöhe beschlossen. Erachten Sie diese Sofort-Hilfen als ausreichend, um die Corona-bedingten wirtschaftlichen Schäden gerade kleiner Breitensportvereine aufzufangen oder werden die Auswirkungen der Pandemie auch noch in Jahren spürbar sein?
Freitag: Zum besseren Verständnis will ich noch einmal die klare Aufgabenteilung zwischen Bund, Ländern und Kommunen herausstellen: der Bund ist für die Belange des Spitzensports zuständig, Bundesländer und Kommunen für den Breitensport. Nach meinen Beobachtungen haben viele Länder schnell nach Beginn der Krise reagiert und eigene Hilfsprogramme für die Breitensportvereine eingerichtet. Zum jetzigen Zeitpunkt sehe ich das Stützgerüst aus Finanzhilfen von Bund und Ländern daher als angemessen und wirksam an. Die Betonung liegt aber auf „zum jetzigen Zeitpunkt“. Noch sind nämlich von den Nothilfen des Bundes und der Länder längst nicht alle Mittel abgerufen worden. Wir werden aber gemeinsam aufmerksam die weitere Entwicklung beobachten. Ein weiteres Jahr ohne Turniere oder Sportfeste werden auch die kleineren Vereine nicht unbeschadet überstehen. Und natürlich gibt es auch Vereine, denen die Krise jetzt schon heftig zugesetzt hat, vor allem jenen, die eigene Sportanlagen, Fitnessstudios oder auch Gastronomie mit entsprechenden Betriebs- und Personalkosten betreiben müssen. Aber diesen Vereinen konnte dank der Programme des Bundes wenigstens in Teilbereichen (Kurzarbeitergeld) geholfen werden. Klar ist aber auch, dass Vereine, die ihr Budget nur zu einem geringen Teil aus Mitgliedsbeiträgen bestreiten und auf Einnahmen durch Zuschauer, Gastronomie usw. angewiesen sind, bei einer weiteren bzw. erneuten Verschärfung der Situation in ihrer Existenz bedroht sein können.
Sportplatzwelt: Welche Rolle messen Sie dem Breitensport für die deutsche Gesellschaft bei? Warum ist es gerade jetzt wichtig, betroffenen Vereinen und ihren oft ehrenamtlichen Mitarbeitern finanziell unter die Arme zu greifen?
Freitag: Zunächst einmal muss man jetzt, nachdem der zeitweise Stillstand des gesamten Sports Stück für Stück wieder aufgehoben wird und die Vereine ihre Aktivitäten wieder vorsichtig hochfahren dürfen, ein Loblied auf genau diese Ehrenamtlichen singen. Sie sind es, die die Ausnahmesituation in den Vereinen vor Ort großartig gemanagt und zum Teil sehr kreative Lösungen gefunden haben. Diese Krise – so schwerwiegend ihre Konsequenzen in vielen Bereichen des Lebens auch sind - verdeutlicht einmal mehr, dass der Sport in unserem Land ein wichtiger sozialer Anker ist. Wer hätte sich denn vor der Krise vorstellen können, dass sich Vereinsmitglieder virtuell treffen und so trotz der widrigen Bedingungen „gemeinsam“ Sport treiben? Insofern ist insbesondere der Breitensport bisher gut durch die Krise gesteuert und in der Breite auch von größeren finanziellen Turbulenzen verschont geblieben. Und wo es bereits zu Problemen kam, wurden ja auch Gelder aus den Programmen der Länder abgerufen. Für mich ist wichtig, dass wir gemeinsam die Vielfalt des sportlichen Angebots in unserem Land aufrechterhalten.
Sportplatzwelt: Eine Wiederaufnahme des Trainings- und Spielbetriebs ist an eine Vielzahl an Hygiene- und Abstandsregeln geknüpft. Wie schwer sind diese für Vereine umsetzbar? Wie wird die Einhaltung dieser Regeln kontrolliert bzw. gewährleistet?
Freitag: Es ist hoffentlich jedem klar, dass die Corona-Krise noch nicht vorbei ist. Mit dieser Erkenntnis geht dann einher, dass bei allem Verständnis für den Wunsch nach Normalität im Sport auch klar ist, dass Vorsichtsmaßnahmen weiterhin nötig sind. Dazu gehören leider auch die mittlerweile bekannten Einschränkungen und Hygieneregeln. Ich bin sicher, dass die Vereine hier auch im eigenen Interesse auf die Einhaltung der notwendigen Regularien schauen – ein Corona-Hot-Spot möchte sicher kein Verein werden. Grundsätzlich sind die jeweiligen Gesundheitsämter für die Überwachung zuständig. Bei allen 90.000 Vereinen die Umsetzung zu kontrollieren, ist allerdings weder möglich noch gewünscht. Ich vertraue auf das Verantwortungsbewusstsein der Vereinsführung und das Verständnis der Mitglieder.
Sportplatzwelt: Laut Vereinsrecht sind Mitgliederversammlungen stets als Präsenzveranstaltung abzuhalten. Welche Änderungen diesbezüglich birgt der von Bundestag und Bundesrat beschlossene Art. 2 § 5 des „Gesetz zur Abmilderung der Folgen der COVID-19-Pandemie im Zivil-, Insolvenz- und Strafverfahrensrecht“?
Freitag: Der Gesetzestext erlaubt es, Mitgliederrechte auch ohne Präsenz bei einer Mitgliederversammlung auszuüben. Das ist aus meiner Sicht in der aktuellen Phase der Pandemie auch unabdingbar, denn Vereine sind demokratische Institutionen und Vereinsvorstände müssen für die Vereinsführung eine Legitimation durch die Vereinsmitglieder haben. Dass die Teilnahme an einer Mitgliederversammlung beispielsweise auch via Videokonferenz und die Stimmabgabe schriftlich möglich ist, ist aktuell sehr hilfreich.
Sportplatzwelt: Diese Sonderregelung im Vereinsrecht ist zunächst bis zum 31.12.2020 befristet. Wie kam es zu dieser Entscheidung, gerade im Hinblick darauf, dass eine unbefristete Regelung dazu beitragen könnte, Digitalisierungsprozesse im Breitensport voranzutreiben?
Freitag: Die Folgen der Pandemie haben in vielen Bereichen konsequente Handlungen und schnelle Anpassungen erforderlich gemacht. Und da z.B. turnusmäßige, mit Wahlen verbundene Vereinsversammlungen aufgrund der Einschränkungen in Präsenzform ausfallen mussten, war klar, dass hier Übergangslösungen nötig waren. Die Corona-Krise hat die Digitalisierung – nicht nur im Sport – praktisch zuweilen erzwungen. Ob und wie weit daraus Dauerlösungen werden können oder sollen, kann ich momentan nicht abschätzen.
Sportplatzwelt: Wie bewerten Sie rückblickend das „Vorpreschen“ der Fußball-Bundesliga hinsichtlich der Wiederaufnahme des Spielbetriebs?
Freitag: Es war schnell klar, dass die Einstellung des Spielbetriebs für einige Vereine existenzielle Gefahren bedeutete. Es hat nicht nur mich, sondern auch viele Fußballfans doch überrascht, wie sehr die Budgets offenbar vielfach auf Kante genäht sind. Die Deutsche Fußball Liga DFL hat angesichts dieses immensen Drucks ein Konzept erarbeitet, wie die Saison doch noch beendet werden kann. Das Konzept war allerdings mit hohen Kosten zur Isolierung der Teams, der Schiedsrichter etc. verbunden, sodass es ziemlich exklusiv nur im Fußball, der diese Kosten trotz allem zu tragen in der Lage war, anwendbar gewesen ist. Und natürlich hat es ein Restrisiko gegeben, einzelne Eskapaden von Spielern und Trainern sind ja öffentlich geworden und diese hätten das Konzept auch noch scheitern lassen können.
Sportplatzwelt: Wie bewerten Sie aktuell (bzw. vorausblickend) die Bemühungen, wieder Zuschauer in die Stadien zu bekommen? Kommen die Überlegungen zu früh? Welche Bedenken haben Sie?
Freitag: Ich verstehe, dass die Vereine in der Saison 2020/2021 wieder vor vollen Zuschauerrängen spielen wollen. Es ist nachvollziehbar, dass der finanzielle Druck nicht weniger geworden ist und die Einnahmen aus Eintrittskarten, Business-Seats, Logen und Catering dringend benötigt werden. Über allem steht aber die Gesundheit der Menschen – und da der weitere Verlauf der Pandemie aktuell noch nicht absehbar ist, halte ich die Diskussion über Fußball in vollen Stadien noch für viel zu früh.
Sportplatzwelt: Ein anders Thema, das Vereine und Sportplatzbetreiber bereits vor der Corona-Krise in Aufruhr versetzte, ist das drohende Verbot von granulatverfüllten Kunstrasenplätzen. Viele Bundesländer und Landessportbünde haben hinsichtlich des drohenden EU-Verbots bereits ihre Förderrichtlinien angepasst und gewähren keine Förderung mehr für solche Kunststoff-verfüllten Plätze. Wie ist die aktuelle Haltung der Bundesregierung bzw. des Sportausschusses zu dieser Debatte?
Freitag: Der Sportausschuss hat sich in einer Sitzung Ende 2019 mit dem Thema befasst und das Problem unter unterschiedlichen Gesichtspunkten beleuchtet. Zu Gast waren u.a. der Deutsche Fußball-Bund und der DOSB, aber auch das Fraunhofer Institut, der Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND) und der Städte- und Gemeindebund. Das Problem ist vielschichtig und es ist wichtig, die jeweiligen Standpunkte abzuwägen. Ich habe den Eindruck, dass der Umweltschutzaspekt von allen Beteiligten akzeptiert wird – es geht einzig um eine praktikable Lösung. Dass beim Neubau von Sportanlagen auf Alternativprodukte gesetzt wird, ist richtig. Wichtig ist aber auch, dass der Sportbetrieb auf Bestandsanlagen nicht eingestellt werden muss und hier sinnvolle Alternativen und Übergangsregelungen geschaffen werden. (Sportplatzwelt, 20.07.2020)