Kleine Körnchen – großes Problem?

Die EU erwägt ein Verbot von Kunststoffgranulaten als Infill für Kunstrasenplätze. Der Grund: Mikroplastik. Eine Studie des Fraunhofer Instituts hat die hitzige Diskussion auch in die breite Öffentlichkeit gebracht.

Die Europäische Union plant ein Verbot von Kunststoffgranulaten. Diese Nachricht versetzte Anfang des Jahres die gesamte Branche in Aufruhr. Mittlerweile haben die Europäische Chemikalienagentur (ECHA) und das mit der ersten Studie beauftragte Fraunhofer Institut zwar entschieden zurückgerudert, die Angst vor einem Verbot von Kunststoffgranulaten bleibt allerdings weiter bestehen.

Kork stellt ein Alternative zu herkömmlichem Gummi-Granulat dar.
Kork stellt ein Alternative zu herkömmlichem Gummi-Granulat dar. Bild: Stadionwelt

Bereits im Juni 2016 war die ECHA von der Europäischen Kommission beauftragt worden, die Auswirkungen von Gummigranulaten auf Gesundheit und Umwelt zu untersuchen. Ursächlicher Ansporn der Erhebung seien laut Europäischer Kommission verschiedene Medienberichte, die Spielplätzen mit Gummi-Mulch ein erhöhtes Krebsrisiko nachgesagt hatten. Laut EU-Kommission sollen vor allem Granulate aus recyceltem Kunststoff – wie etwa Autoreifen – eine Reihe „potenziell gefährlicher Substanzen enthalten, einschließlich polyzyklischer aromatischer Kohlenwasserstoffe (PAK), Metalle und Phthalate, und sie können auch flüchtige organische Kohlenwasserstoffe (VOCs) und semi-flüchtige organische Kohlenwasserstoffe (SVOCs) freisetzen“.

Zwar hatte der erste Bericht der ECHA ergeben, dass es „höchstens sehr geringen Anlass für Bedenken“ bezüglich der Gesundheit bei einer längeren Exposition gegenüber dem Granulat gebe, ebenfalls im Bericht aufgezeigte Unsicherheiten rechtfertigen aber laut Europäischer Kommission weitere Untersuchungen in diese Richtung. In der Folge hatte das niederländische Institut für öffentliche Gesundheit und Umwelt (RVIM) zwar ebenfalls bestätigt, dass der Sportbetrieb auf einem Kunstrasenplatz keine gesundheitlichen Risiken berge, das Institut hatte aber ebenfalls empfohlen, die gesetzlichen Höchstwerte der PAK-Konzentration in Kunststoffgranulaten zu senken.

Eine breite mediale Aufmerksamkeit erfuhr das Thema mit der Beteiligung des Fraunhofer Instituts. Die Organisation für angewandte Forschungs- und Entwicklungsdienstleistungen hatte in einer im Herbst 2018 veröffentlichten Studie entgegen der bisherigen Ergebnisse des niederländischen Instituts für öffentliche Gesundheit und Umwelt erhebliche Bedenken bezüglich des Einflusses von Kunststoffgranulaten auf die Umwelt geäußert. „Primäres Mikroplastik hat viele Quellen, die sich hinsichtlich der freigesetzten Mengen sehr unterscheiden. Für Deutschland schätzen wir die gesamten Kunststoffemissionen in Form primären Mikroplastiks auf 330.000 Tonnen pro Jahr“, heißt es in der Studie des Fraunhofer Instituts.

Primäres Mikroplastik sind Kunststoffe, die bereits in mikroskopisch kleiner Form in die Umwelt eingebracht werden, wohingegen sekundäres Mikroplastik erst durch einen Zersetzungsprozess von Makroplastik entsteht. Zwar verweist die Studie mit einem Gesamtemissionswert von 101.351 Tonnen pro Jahr auf Reifenabrieb als primäre Quelle von Mikroplastik, Verwehungen von Sport- und Spielplätzen landen aber mit einer jährlichen Menge von 10.808 Tonnen immer noch auf dem fünften Platz. Verteilt auf alle Kunstrasenplätze in Deutschland entspräche dies etwa zwei bis drei Tonnen Mikroplastik, die pro Jahr und Platz in die Umwelt gelangen. Ein Wert, der Grund zur Sorge bereitet und die Europäische Kommission in ihrem Bestreben stärkt, Kunststoffgranulate in absehbarer Zeit zu verbieten.

Ein Verbot mit Folgen

Ein solches Verbot hätte drastische Folgen für Hersteller und den gesamten Amateur und Breitensport. Die lange Lebensdauer bei richtiger Pflege und die Bespielbarkeit bei jeder Wetterlage sind Eigenschaften, die Kunstrasenplätze vor allem für den Kommunalbereich attraktiv machen.

Schätzungen des DFB zufolge gibt es in Deutschland aktuell rund 5.000 Kunstrasenplätze – 3.500 davon mit Granulat-Infill. In jedem Fall würde ein Verbot ab 2022, wie es die ECHA vorgeschlagen hatte, dem Amateur- und Breitensport einen schweren finanziellen Schlag verpassen – und das nicht nur aufgrund der hohen Kosten, die bei einer Neubefüllung mit einem Ersatzprodukt wie etwa Kork zustande kommen. Generell ist das Abtragen des alten Granulats und eine Befüllung mit neuem Granulat eine arbeits- und kostenintensive Maßnahme, wie Philipp Raff, Geschäftsführer der PR Recycling Gmbh, erklärt: „Um die regionale Wiederverwendung von Materialien möglich zu machen, entfernen wir beispielsweise bei Sand-Gummi-gefüllten Kunstrasenplätzen erst das Gummi-Material. Hier kommen schnell 30 bis 40 Tonnen zusammen. Danach entfernen wir den speziellen Quarzsand, etwa 140 Tonnen.“

Dieser Artikel erscheint auch in der Ausgabe 3/2019 von Stadionwelt INSIDE.
Partner dieser Ausgabe:
Polytan GmbH
SEKISUI ALVEO AG
SMG Sportplatzmaschinenbau GmbH
 

Kork und Sand – echte Alternativen?

Gerade recycelte Granulate aus SBR und RPU werden gerne und häufig im Amateur und Breitensport verwendet, bieten sie doch eine gute Bespielbarkeit und Qualität bei vergleichsweise geringen Anschaffungskosten. SBR-Granulat besteht beispielsweise zu fast 100 % aus wiederverwerteten Autoreifen und ist sehr UV- und wetterbeständig. Das SBR-Einstreugranulat kann heutzutage eine gute, kostengünstige Lösung sein, wenn es aus einer güteüberwachten, dokumentierten Quelle stammt. Bei RPU-Granulat handelt es sich in erster Linie um SBR-Granulat, das mit einer eingefärbten Polyurethanschicht ummantelt ist. Diese Hüllschicht ist allerdings sehr anfällig für Abrieb, wodurch es nach einiger Zeit die konventionellen Eigenschaften des SBR-Granulats annimmt.

EPDM ist traditionell ein Bestandteil vieler Sportboden-Systeme und wird beispielsweise auch in den Elastikschichten oder beim Bau von Kunststofflaufbahnen verwendet. Das Neugranulat besitzt eine hohe Resistenz gegen Umwelteinflüsse sowie chemische Einwirkungen und kann bei sehr guten ökologischen Werten durch die Beimischung entsprechender Zusatzstoffe auf verschiedene Einsatzgebiete und deren Anforderungen eingestellt werden. Aktuell existieren in der Branche einige Ersatzstoffe zu Kunststoffgranulaten, die sich mehr oder weniger als Alternativen eignen. Unter ihnen hat sich Kork gemäß den vielfältigen Anforderungen als am besten geeignet erwiesen. Rolf Haas, Geschäftsführer der FieldTurf Tarkett SAS, beschäftigt sich seit rund 15 Jahren mit dieser Alternative: „Kork ist für einige Projekte mit Sicherheit eine sehr gute Alternative, in manchen Fällen sogar die bessere Option. Es ist ein nachwachsender Rohstoff mit zum Teil sehr positiven Eigenschaften wie etwa einem geringeren Aufwärmverhalten. Es gibt aber auch Nachteile wie etwa den höheren Pflegeaufwand, die den Einsatz nicht für jedes Projekt empfehlenswert machen. Letztlich kann Kork auch nicht ausreichend als Rohstoff zur Verfügung gestellt werden, um alle anderen Granulate zu ersetzen.“ Da für das Granulat nur ein geringer, unverholzter Teil der Korkrinde verwendet werden kann, fallen die Kosten für den Rohstoff und die Produktion deutlich höher aus als bei Kunststoffgranulaten. Bei einer flächendeckenden Verwendung von Korkgranulaten könnte dieser Preis aufgrund der erhöhten Nachfrage und geringen Verfügbarkeit des Rohstoffs noch weiter ansteigen.

Während Sand als untere Schicht in erster Linie den Kunstrasenfasern halt geben soll, ist das darüber eingestreute Granulat im Wesentlichen für die Spieleigenschaften eines Kunstrasenplatzes verantwortlich. Eine flächendeckende Verfüllung mit Sand ist zwar deutlich kostengünstiger als die Verwendung von Kunststoffgranulaten, heutzutage aber aufgrund der schlechteren Spieleigenschaften und des erhöhten Verletzungsrisikos im Spielbetrieb nur noch selten anzutreffen – einige Experten empfehlen diese Infill-Lösung für hochfrequentierte Plätze wie etwa im Schulsport. Auch unverfüllte Systeme stellen eine Alternative zu Kunstrasenplätzen mit Granulatfüllung dar. Bei dieser Bauweise werden spezielle Kunstrasenfasern verwendet, die sich durch ihre spezielle Faserung gegenseitig stützen. Bei diesem vergleichsweise pflegeleichten System gelangt somit kein Granulat in die Umwelt. Zudem entfallen die Kosten für etwaige Nachfüllarbeiten. Während sich der unverfüllte Kunstrasen in Deutschland nicht in der Breite durchsetzen konnte, ist das System an Standorten, an denen Schnee und Eis den Spielbetrieb in großem Ausmaß beeinflussen, deutlich verbreiteter – etwa in der Schweiz. Da für einen unverfüllten Kunstrasenplatz aber spezielle Kunstrasenfasern verwendet werden müssen, ist dieses System keine echte Alternative zu einer Granulatfüllung.

Auch Thomas Hanke, Vertriebschef der Polytan GmbH, ist nicht gänzlich von den aktuellen Alternativen überzeugt: „Unserer Meinung nach wird hier die beste Lösung für den Sportler in Verruf gebracht. Gummigranulat als Füllstoff ist nun mal die für die Gesundheit der Sportler optimale Lösung auf einem Kunstrasenplatz. Und in Sachen Bespielbarkeit steht es ebenfalls ganz weit vorne. Wir können die Plätze ohne Probleme auch mit Sand oder Kork verfüllen und machen das bereits, aber das ist nicht die beste Lösung für den Fußballer.“ Philipp Raff sieht dies ähnlich: „Der Kunstrasenplatz hat seine Berechtigung, seine Bedeutung wird weiter zunehmen. Die Sand-Gummi-Systeme sind perfekt für den Sportler, da kommen Sand oder Vollkunststoffrasen bei Weitem nicht ran und verursachen zudem mehr Spielerverletzungen.“

Doch es existieren auch bauliche Lösungen, um den Austrag von Kunststoffgranulaten in die Umwelt zu minimieren, wie Rolf Haas erklärt: „Um den Austrag von Mikroplastik erheblich zu verringern, sind Filteranlagen sinnvoll. Filterrinnenysteme sind Entwässerungseinrichtungen mit dem Ziel, das ausgetragene Infill, Abrieb und Staub aufzufangen, herauszufiltern und somit den Eintrag von Mikroplastik in den Wasserkreislauf zu verhindern. Dies wird durch ein spezielles Filtersubstrat mit dem Wirkungsprinzip der Oberflächenfiltration erreicht. Der Wirkungsgrad liegt bei 98,5 % bei einem Rückhalt von Partikeln bis 0,45 Mikrometern.“ Doch auch günstigere Maßnahmen können den Austrag von Mikroplastik in die Umwelt erheblich verringern, wie Philipp Raff anmerkt: „Es gibt zahlreiche Lösungen. Nur eine unter vielen Ideen ist, mit altem, ungefülltem Kunstrasen die Auslaufzonen zu vergrößern, um den Gummiaustrag zu verringern.“ Die Diskussionen der vergangenen Monate hätten aber auch der breiten Öffentlichkeit klargemacht, dass „die Messlatte für umweltgerechtes Handeln im Bereich des Sportstättenbaus und der hiermit verbundenen Produzenten höhergelegt werden muss. Wir müssen mehr Sorge tragen, dass das Gummi im Platz bleibt“, so Raff.

Entwarnung

Die erste Studie des Fraunhofer Instituts bewertet den Einsatz von Kunststoffgranulaten zwar als umwelt- und gesundheitsschädlich, bei genauer Betrachtung werden aber die Maßstäbe deutlich, in denen sich die Kunststoffemissionen von Kunstrasenplätzen bewegen: Die jährlichen Emissionen von Kunststoffgranulaten im Sportbereich machen nur rund 3,3 % des jährlich emittierten Mikroplastiks aus. Zudem hat das Institut keine eigenen Untersuchungen durchgeführt, sondern sich in seiner Studie lediglich auf bisherige Forschungsergebnisse berufen, deren Ergebnisse aber stark differieren.

Des Weiteren zeigt eine Anfang des Jahres veröffentlichte Studie des Deutschen Instituts für Normung (DIN) und der Gütegemeinschaft RAL, dass die vom Fraunhofer Institut veröffentlichten Zahlen deutlich zu hoch angesetzt waren, wie es in einer Stellungnahme der RAL heißt: „Analysiert man die Angaben und Informationen des Marktes, der Städte und Gemeinden und der Sportvereine, dann wird nur in seltenen Fällen und wenn nur sehr wenig Gummigranulat, also Mikroplastik, ausgetragen und nur geringe Mengen an Gummigranulat über die Lebensdauer hinweg nachgefüllt. Eine Nachfüllmenge von vier Tonnen pro Jahr würde den Haushalt einer Kommune mit circa 7.200 Euro pro Jahr und Platz belasten. Es ist davon auszugehen, dass die Belastung der Umwelt mit Mikroplastik mindestens um den Faktor 10 niedriger liegt, als vom Fraunhofer Institut behauptet.“

Auch Kunstrasen-Marktführer Polytan spricht von erheblich niedrigeren Werten: „Im Schnitt werden auf einem mit Granulat verfüllten Platz in Deutschland jährlich etwa 200 bis 350 Kilogramm Granulat nachgefüllt. Lege man die Fraunhofer-Zahlen zugrunde, müssten auf jedem Platz ca. drei Tonnen nachgefüllt werden. Das ist weit jenseits der Realität.“ Das ausgetragene Granulat gelange zudem nur zu einem sehr kleinen Teil in die Umwelt. Meistens verbleibe es auf dem Platzgelände, werde aufgefegt und entsorgt oder wiederverwendet.

Zudem wird bei heutigen Kunstrasensystemen deutlich weniger Granulat verwendet, als bis noch vor ein paar Jahren, wie Thomas Hanke erklärt: „Wir reduzieren mit neuen Produkten seit Jahren die benötigte Granulatmenge. Bei unseren neuen Produkten kommen wir mit 1,7 kg pro Quadratmeter aus, vor ein paar Jahren waren es noch 5 kg.“ Hersteller melden aber nicht nur bezüglich der vom Fraunhofer Institut veröffentlichten Austragsmengen Bedenken an. Auch die von den Forschern bemängelte Schadstoffkonzentration im Granulat werde laut Thomas Hanke deutlich zu hoch eingeschätzt, vor allem im Hinblick auf die Tatsache, dass Kunststoffgranulate in Deutschland einer DIN-Norm unterliegen und ohnehin streng kontrolliert werden: „Unser Granulat gilt als völlig unbedenklich. Es erfüllt die Spielzeugnorm. Wir haben ein Produkt, das zu 70 % aus Hanf und Kreide besteht und zu 30 % aus synthetischem Kautschuk.“

Das drohende Verbot von Granulaten durch die Europäische Kommission ist noch längst nicht beschlossen. Die öffentliche Konsultation durch die ECHA läuft noch bis zum 20. September. Anschließend wird die Chemieagentur ihre Empfehlungen zur künftigen Minimierung der Mikroplastikemissionen den verschiedenen EU Gremien vorlegen. Bereits jetzt zeichnet sich aber ab, dass es im Vorfeld eines möglichen vollständigen Verbots von Gummigranulaten zumindest eine entsprechend lange Übergangsphase geben soll, in der Kommunen und Vereine Alternativen eruieren können. Eine solche Übergangsfrist sei auch laut DFB und des DOSB unbedingt notwendig, um die „hohen Investitionen für die Sanierungen“ leisten und gleichzeitig „den Sportbetrieb auf den betroffenen Sportanlagen aufrechterhalten“ zu können.

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