„Nicht jede Kommune wird sich noch ein Schwimmbad leisten können“

Im Interview mit Sportplatzwelt spricht Prof. Dr. Christian Kuhn, Sprecher der Bäderallianz Deutschland, über die aktuellen Herausforderungen für Schwimmbäder und künftige Anforderungen an Planung, Bau und Betrieb.

Prof. Dr. Christian Kuhn Bild: Bäderallianz Deutschland
Sportplatzwelt: Ende Juni hat die Bäderallianz Deutschland ihr Positionspapier „Die Zukunft der deutschen Bäder“ vorgestellt. Was sind die derzeit größten Herausforderungen, mit denen sich die deutsche Bäderlandschaft konfrontiert sieht? Inwieweit haben die Krisen der vergangenen Monate und Jahre die ohnehin prekäre Lage der deutschen Bäderlandschaft weiter verschärft?
Kuhn: Wir haben hier ein sehr vielschichtiges Problem: Eines der aktuell gravierendsten Probleme ist der massive Personalmangel bzw. Fach- und Führungskräftemangel im Bäderbetrieb. Dieser hat sich durch die Corona-Krise und die Energiekrise noch einmal enorm verschärft. Wir dürfen nicht vergessen, dass Schwimmbäder damals als erste im Lockdown waren und als letzte wieder öffnen durften. Viele Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter haben infolge von Kurzarbeit den Schwimmbädern den Rücken gekehrt. Es folgte die Energiekrise, in der vor allem Schwimmbäder als Vorzeigemodell für kommunales Gassparen dienten. Auch hier fehlte es vielen Schwimmbad-Mitarbeiterinnen und -Mitarbeitern an Wertschätzung. In der Folge haben wir in den vergangenen drei Jahren viele Mitarbeitende in die Rente oder in andere Branchen verloren und nur wenige bis keine neuen Fachkräfte eingestellt. Deshalb fehlen uns jetzt beispielsweise alleine 2.000 bis 4.000 – hier gehen die Schätzungen ein wenig auseinander – Aufsichtskräfte am Beckenrand. Hinzu kommen fehlende Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter an den Kassen, den technischen Anlagen und allen weiteren Bereichen rund um den Schwimmbadbetrieb. Rund 1.000 Schwimmbäder in Deutschland sind aufgrund des akuten Personalmangels bereits von Schließungen oder Teilschließungen betroffen.

2. Deutscher Sportstättentag

Die Bäderallianz lädt zum 2. Deutschen Sportstättentag ein, der im Rahmen der FSB 2023 am 25. Oktober in Köln stattfindet. Die Teilnehmerinnen und Teilnehmer können sich nicht nur in verschiedenen Workshops beteiligen, sondern vor allem auch ihre Einschätzung zur aktuellen Lage der Sportstätten- bzw. Bäderlandschaft in Deutschland abgeben. Die Bäderallianz freut sich auf Eindrücke, Anregungen und Meinungen aus den einzelnen Kommunen.

Weitere Informationen zum 2. Deutschen Sportstättentag auf der FSB 2023 gibt es hier.

Das zweite große Problem, mit dem sich die deutsche Bäderlandschaft konfrontiert sieht, ist vor allem baulicher Natur. Viele unserer Bäder stammen noch aus den Zeiten des Goldenen Plans, also aus den 1960er bis 1980er Jahren. Sportorientierung und Medaillengewinn im Kalten Krieg sind hier die Stichwörter: Unsere heutige Bäderlandschaft ist nicht nur nicht bedarfsorientiert, sondern vor allem auch baulich in einem teils maroden Zustand. Hierzu eine etwas veraltete Zahl, die den derzeitigen Sanierungsstand auf rund 4,5 Mrd. Euro beziffert – die tatsächliche Investitionslücke dürfte nach den Baukostensteigerungen der vergangenen Monate aber deutlich höher liegen. Künftige Sanierungsmaßnahmen dürfen also nicht nur dem Substanzerhalt dienen, sondern vor allem auch der Neuausrichtung vieler Schwimmbäder, die sich nicht mehr an aktuellen Bedarfen orientieren.

Die dritte große Herausforderung ist das Thema energetischer Umbau. Ein Blick auf das SJK-Programm, in dem wir als Schwimmbäder glücklicherweise explizit Erwähnung finden, zeigt, welche Anforderungen an nachhaltiges Bauen und Betreiben künftig umgesetzt werden müssen. Bäder sind hiervon in besonderer Weise betroffen, da die meisten Schwimmbäder vor allem mit Gas beheizt werden. Aktuelle Herausforderungen resultieren hier vor allem aus dem steuerlichen Querverbund und der Verwendung von Blockheizkraftwerken: Für viele Betreiber stellt sich die Frage, ob sie den steuerlichen Querverbund, für den ein Blockheizkraftwerk quasi unumgänglich ist, oder Fördermittel aus dem SJK-Programm nutzen wollen. Hier haben wir beobachtet, dass Schwimmbäder, die aus dem SJK-Programm geflogen sind, größtenteils ihre Bäderprojekte eingestellt haben. Insgesamt also eine sehr vielschichtige Problemstellung, mit der wir uns momentan beschäftigen müssen.

„Hier werden vor allem die Länder gefordert sein.“

Sportplatzwelt: Sehen Sie hier also auch die Politik in der Pflicht, eine transparentere und praxisorientiertere Fördersituation zu schaffen?
Kuhn: Hier werden vor allem die Länder gefordert sein: Einige Länder haben bereits große Förderprogramme zum Erhalt der Bäder ins Leben gerufen, andere wiederum eher kleine. Einige Bundesländer verfügen sogar über überhaupt keine Förderprogramme, auf die auch Schwimmbäder zugreifen können. Wenn es beispielsweise um den Vereinssport geht, sind solche Förderprogramme in anderen Sportarten durchaus von Relevanz – bei Schwimmbädern gestaltet sich die Situation in der Regel anders. Nur wenige Vereinspräsidenten würden einen siebenstelligen Betrag investieren lassen, für den man schlussendlich auch ein bisschen selbst haftet.

Es sind also die Länder gefragt. Denn sie sind auch diejenigen, die hier einen großen Anspruch haben. Es geht nicht nur darum, die Investitionskosten zu betrachten, schließlich stecken drei Viertel der Lebenskosten im Betrieb, nur ein Viertel der Kosten spiegelt sich in den anfänglichen Investitionen wider. Wenn man jetzt aber sieht, dass die kommunale Pflichtaufgabe oftmals aus dem Schulsport resultiert und Bildung in Deutschland Ländersache ist, sehe ich hier vor allem die Bundesländer in der Pflicht.

„Es geht vor allem um die Bedarfsgerechtigkeit.“

Sportplatzwelt: Welche Lösungsansätze hat die Bäderallianz, um diesen Herausforderungen langfristig entgegenzuwirken?
Kuhn: Es geht vor allem um eine Bedarfsgerechtigkeit. Fangen wir zunächst mit dem Thema Investitionen an: Hier haben wir in Deutschlands föderalem System eine Dreischichtigkeit aus Kommunen, Ländern und Bund. Allerdings sind vor allem die Kommunen durch aktuelle Herausforderungen wie die Migration derzeit enorm überlastet. Wir haben Gespräche mit Bürgermeistern geführt, die uns berichteten, vor der Wahl zu stehen, ob sie den Grundsteuersatz anheben oder ihr Schwimmbad schließen. Denen steht das Wasser teils bis zum Hals. Schwimmbäder sind die teuersten Sportimmobilien, die man in einer Kommune finden kann. Diese Kommunen müssen also finanziell entlastet werden. In einem föderalen Staat ist es wichtig, auch hierüber zu sprechen. Es ist eben nicht nur der Schrei nach Bundesfördermitteln – die insgesamt 140 Mio. Euro aus dem SJK-Programm haben zwar geholfen, waren bei den bestehenden Investitionsrückständen aber nur ein Tropfen auf dem heißen Stein.

Zum Thema Personal: Hier müssen wir meiner Meinung nach vielschichtig agieren. Zum einen, wie der Blick ins europäische Ausland zeigt, müssen nicht immer Fachkräfte am Beckenrand stehen und Aufsicht führen. In anderen Ländern sind hier zum Beispiel bereits digitale Helfer oder Videoüberwachung zulässig. Hier müssen wir uns als Bäderallianz vielleicht auch ein wenig selbst an die Nase fassen, ein bisschen schneller reagieren und uns überlegen, wie man hier in Zukunft vorgehen kann. Keine Frage, von den rund 20 Ertrinkungsfällen in deutschen Bädern pro Jahr ist jeder einzelne einer zu viel – auch wenn hier immer zu klären ist, was der tatsächliche Grund für das Ertrinken war. Wir brauchen also in jedem Fall genug rettungsfähiges Personal. Deswegen gilt es hier vor allem, neue Ausbildungskonzepte zu entwickeln.

Zum anderen geht es aber vor allem auch darum, den Mangel an Lehrpersonal im Schulsport zu kompensieren. Aktuell fallen rund 50 % bis 60 % der Schwimmstunden im Schulsport aus, die DLRG hat jüngst Alarm geschlagen, dass es um die Schwimmfähigkeit von Kindern und Jugendlichen immer schlechter gestellt sei. Mit Verlassen der Grundschule können viele Kinder in Deutschland noch nicht schwimmen – obwohl der Schwimmunterricht fester Bestandteil des Lehrplans ist. Eine Fünf in Mathematik gefährdet meist die Versetzung, bei mangelnder Schwimmfähigkeit wird aber in der Regel ein Auge zugedrückt. Es geht also auch darum, die Wertschätzung für die Schwimmfähigkeit in einem wasserreichen Land wie Deutschland wieder zu erhöhen. Diese mangelnde Wertschätzung haben wir nicht nur beim Umgang mit den Schwimmbädern während der Corona-Krise beobachtet, sondern sehen sie tagtäglich im Schulsport.

Neben der Schwimmfähigkeit als Schutz vorm Ertrinkungstod ist Schwimmen aber sicherlich auch ein Wirtschaftsfaktor: Ohne Schwimmen kein Surfen, keine Kreuzfahrt, kein Strandurlaub. Es muss also ein neues Bildungskonzept her: Wir müssen uns überlegen, wie wir Schwimmen wieder als Schulsport etablieren können, wie wir mehr Lehrerinnen und Lehrer in diesem Bereich gewinnen können, wie wir die Rückstände bei der Rettungsfähigkeit wieder aufholen können und natürlich dafür sorgen, dass der Großteil der Bevölkerung schwimmen kann.

Hier sind wir sicherlich ein bisschen in der „Sport-Bredouille“: Schwimmen ist Kulturerbe, eine Kultursportart, und deshalb meiner Ansicht nach im Innenministerium völlig falsch aufgehoben. Schwimmen ist eine Querschnittsaufgabe aus Gesundheit, Sozialem, Wirtschaft und Sport. Diese Organisationsform gilt es zu ändern. Das hat man im Entwicklungsplan Sport der aktuellen Bundesregierung erkannt: Das in diesem Zusammenhang ins Leben gerufene Gremium setzt sich aus Vertreterinnen und Vertretern verschiedenster Bereiche zusammen. Ein Schwimmbad ist eben keine monostrukturelle Sportstätte wie beispielsweise ein Fußballplatz – im Schwimmbad finden viele verschiedene sportbezogene, gesundheitsfördernde, aber auch soziale Aspekte statt.

„Wir stehen vor einem Wandel.“

Sportplatzwelt: Vor allem viele kleine Kommunen verfügen über teils in die Jahre gekommene, schwach frequentierte Schwimmbäder. Wie kann der schwierige Spagat gelingen, die Bäderlandschaft einerseits durch interkommunale Zusammenarbeit und beispielsweise moderne überregional genutzte Bäder zu sichern, andererseits aber auch die im Positionspapier geforderte „gute Erreichbarkeit der Bäder anhand regionaler Bedarfe“ zu gewährleisten?
Kuhn: Die erschreckende Nachricht vorab: Künftig wird sich nicht mehr jede Kommune ein eigenes Schwimmbad leisten können. Das haben Gespräche auf unseren vergangenen Sitzungen deutlich gemacht. Die Kommunen werden es sich aber nicht nur nicht mehr leisten können, sie werden teilweise sogar dazu gezwungen, es sich nicht mehr leisten zu dürfen: Wenn die Kommune beispielsweise über einen Not- oder Sparhaushalt verfügt, werden sie als erstes jegliche freiwilligen Leistungen streichen müssen. Der Betrieb eines Schwimmbads ist eine solche freiwillige Leistung. Hier sind die Kommunen machtlos.

Doch wie geht es weiter? Wir stehen hier vor einem gewissen Wandel. Für den Schul- und Vereinssport werden wir – nach dem Motto „kurze Beine, kurze Wege“ – wieder deutlich mehr Sportbäder brauchen – allerdings in anderen Dimensionen. Hier werden allerdings künftig nicht mehr 8x4-Lehrschwimmbecken zum Einsatz kommen, wie man sie vielleicht von früher aus dem Schulsport kennt. „Dezentral zentral“ ist das Motto: Künftig werden sich Schulen vermutlich gemeinsam entsprechend dimensionierte Anlagen teilen. Hier geht es vor allem um eine saubere Bedarfsermittlung.

Aus wirtschaftlicher Sicht geht es für die Kommunen vor allem darum, die Auslastung ihrer Bäder zu erhöhen. Die Zeiten, in denen ein Schwimmbad leer stehen darf, sind längst vorbei. Hier müssen wir vor allem in die Digitalisierung investieren – z.B. in Form von digitalen Auslastungsplänen. Je größer das Schwimmbad ist, desto professioneller muss künftig auch der Betrieb ablaufen. Ein professionelles Energiemanagement ist hier nur einer der Bausteine. Die Anforderungen sind hier so stark gestiegen, dass ein solch professioneller Betrieb quasi nur noch überregional geleistet werden kann. Eine kleine Kommune mit 8.000 Einwohnern wird den gestiegenen Anforderungen an einen professionellen Betrieb künftig kaum noch gerecht werden können. Hier gilt es, interregionale Verbünde ins Leben zu rufen, überregional zusammenzuarbeiten und sich vor allem auch untereinander abzustimmen, damit nicht jede Kommune am Ende dasselbe baut, sondern sich die Anlagen untereinander geteilt werden. Deshalb ist es an der Zeit, eine saubere Bedarfs- und Auslastungsplanung durchzuführen. Die Zeiten, in denen sich ein Schwimmverein mit der Bitte um ein neues 50-Meter-Becken an die Kommune gewendet hat, sind vorbei. Bäder müssen künftig deutlich bedarfsgerechter gebaut werden. Das Rad muss hierfür nicht neu erfunden werden, die DIN 18205 macht hier entsprechend genaue Vorgaben, wie eine solche Bedarfsplanung durchzuführen ist. Niemand käme beispielsweise auf die Idee, DIN-Normen für Baustoffe zu vernachlässigen – bei der Bedarfsplanung ist dies leider nach wie vor häufig der Fall. Denn die Nachhaltigkeit eines Schwimmbads wird vor allem auch an der Auslastung, also dem Ressourcenverbrauch pro Kopf, berechnet. Wenn also die Anzahl der Nutzerinnen und Nutzer gesteigert werden kann, wird das Schwimmbad automatisch nachhaltiger. Professionalität im Betrieb, interkommunale Kooperation und Auslastungssteigerung sind hier also die wesentlichen Stellschrauben, an denen wir drehen müssen. Erreicht werden kann dies nur durch Digitalisierung und Vernetzung. (Sportplatzwelt, 16.10.2023)

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