Und sie lebt noch – HOAI bleibt in Altfällen anwendbar

Der Bundesgerichtshof hat entschieden: Mindest- und Höchstsätze der HOAI gelten in vor dem 1. Januar 2021 begründeten Vertragsverhältnissen fort. Im Gastbeitrag erklärt Peter Oriwol, Rechtsanwalt bei CMS Deutschland, die Folgen des Urteils für Kommunen und private Bauherren.

Peter Oriwol
Peter Oriwol Bild: CMS Deutschland
Gilt das Preisrecht der Honorarordnung für Architekten und Ingenieure (HOAI) fort oder ist es seit dem Urteil des Gerichtshofs der Europäischen Union (EuGH) vom 4. Juli 2019 passé? Diese Frage trieb die deutsche Baubranche in den letzten drei Jahren um, nachdem der EuGH in seinem vielbeachteten Urteil einen Verstoß des deutschen HOAI-Preisrechts mit seinen Mindest- und Höchstsätzen gegen die EU-Dienstleistungsrichtlinie festgestellt hatte (Az. C-377/17, NVwZ 2019, S. 1120 ff. mit Anmerkung Oriwol/Honer).

Die Honorare für Architekten- und Ingenieurleistungen hätten eigentlich bereits seit dem 28. Dezember 2009 auch in Deutschland frei verhandelbar sein müssen. Denn bis zu diesem Stichtag hatte die Europäische Union mit der Dienstleistungsrichtlinie 2006 ihren Mitgliedstaaten aufgegeben, alle "nicht durch einen zwingenden Grund des Allgemeininteresses" gerechtfertigten Mindest- und Höchstsätze im Dienstleistungssektor abzuschaffen. Hierzu gehören auch die Mindest- und Höchstsätze der HOAI, die von 1977 bis 2020 die Honorare für Architekten- und Ingenieurleistungen in Deutschland nach unten und oben regulierten. Die deutsche Bundesregierung vertrat mit Blick auf den bewusst auf Inlandssachverhalte beschränkten Anwendungsbereich der HOAI, dass sich die Honorarordnung den Vorgaben der Europäischen Union entziehe. Der EuGH stellte jedoch klar, dass sich auch die HOAI an der EU-Dienstleistungsrichtlinie messen lassen müsse. Nachdem die Bundesregierung nicht plausibel erklären konnte, weshalb die Preisregulierung zur Sicherung einer hohen Qualität von Planungsleistungen erforderlich sein soll, wenn andererseits ohne Nachweis der fachlichen Eignung jeder Laie in Deutschland Architekten- und Ingenieurleistungen erbringen darf, war klar: Die Mindest- und Höchstsätze der HOAI beschränken den Wettbewerb in nicht gerechtfertigter Weise und hätten längst abgeschafft werden müssen.

Nun war die HOAI aber zunächst nicht aus der Welt, sondern erhob bis zum 31. Dezember 2020 den Anspruch, die Preise im Planungswesen zu regulieren. Zu Recht? Der Baubranche stellte sich die Frage, welche Bedeutung die festgestellte Unionsrechtswidrigkeit der HOAI auf laufende und neu abzuschließende Planerverträge hat: Durften Architekten und Ingenieure unter dem Mantel der EuGH-Rechtsprechung die Preisvorgaben nun ignorieren, ihre Leistungen nunmehr im freien Preiswettbewerb anbieten? Oder galt das HOAI-Preisrecht zunächst fort, bis der deutsche Gesetzgeber es am 1. Januar 2021 abschaffte? War es Architekten und Ingenieuren noch möglich, die Aufstockung ihrer Honorare auf die Mindestsätze der HOAI zu verlangen?

Quer durch die Bundesrepublik urteilten die deutschen Obergerichte unterschiedlich über das Schicksal der HOAI: Die einen vertraten die Auffassung, dass die Mindest- und Höchstsätze der HOAI trotz ihrer Unionsrechtswidrigkeit für Architekten und Ingenieure weiterhin verbindlich seien. Die anderen meinten, dass ein unionsrechtswidriges Preisrecht nicht beachtet werden brauche.

Der Weg zurück zur Rechtsklarheit erfolgte in zwei Schritten: Zunächst novellierte der Gesetzgeber die Honorarordnung mit Wirkung zum 1. Januar 2021. Die Mindestsätze der HOAI tragen seitdem die treffende Bezeichnung "Basissätze", die nunmehr in allen seit dem 1. Januar 2021 geschlossenen Planerverträgen unterschritten werden dürfen. Auf die Basissätze fallen die Vertragsparteien nur dann zurück, wenn sie über die Höhe des Honorars keine Vereinbarung in Textform getroffen haben. Sodann stellte der Bundesgerichtshof (BGH) mit seinem kürzlich ergangenen Urteil vom 2. Juni 2022 für alle vor dem 1. Januar 2021 geschlossenen Verträge klar, dass an der Bindung an das ehemalige Preisrecht der HOAI weder der Verstoß gegen die EU-Dienstleistungsrichtlinie noch das EuGH-Urteil vom 4. Juli 2019 etwas ändern (Az. VII ZR 174/19). Es ist damit nunmehr klar: Vor dem 1. Januar 2021 geschlossene Verträge über Architekten- oder Ingenieurleistungen müssen das Preisrecht der HOAI beachten. In seit dem 1. Januar 2021 geschlossenen Verträgen kann das Honorar frei vereinbart werden.

Auftraggeber müssen mit Aufstockungsklagen rechnen

Die BGH-Entscheidung vom 2. Juni 2022 spielt Architekten und Ingenieuren in die Karten, denn sie können in Altfällen nach wie vor eine Honoraraufstockung auf das von der HOAI vorgeschriebene Mindestmaß verlangen. Auf den ersten Blick erscheint die Entscheidung nicht gerecht, wenn sie die Anwendbarkeit von unionsrechtswidrigen Mindestsätzen zum Nachteil der Auftraggeber bestätigt. Die Entscheidung des BGH überzeugt jedoch unter kompetenziellen Gesichtspunkten: Behält der deutsche Gesetzgeber entgegen der EU-Dienstleistungsrichtlinie Mindest- und Höchstsätze bei, so begründet dies allein einen Konflikt zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Europäischen Union. Von dem Konflikt ist der deutsche Bürger lediglich mittelbar betroffen, weshalb er für sich keine Rechtsfolgen aus dem Verstoß des HOAI-Preisrechts gegen die EU-Dienstleistungsrichtlinie herleiten kann. Für ihn gilt das deutsche Recht auch dann, wenn es gegen die Richtlinien der Europäischen Union verstößt. Der BGH stellt in diesem Sinne treffend fest, dass sich eine Partei grundsätzlich auf eine nationale Rechtsvorschrift berufen kann, "solange diese weiterhin gültig und im Verhältnis der Parteien anwendbar ist". Die Geltendmachung von Ansprüchen auf unionsrechtswidriger Grundlage stelle sich nicht als treuwidrig dar (Pressemitteilung des BGH Nr. 082/2022).

Auftraggeber müssen daher in vor dem 1. Januar 2021 begründeten Vertragsverhältnissen mit Honorarnachforderungen ihrer Architekten und Ingenieure rechnen. Ausgemachte Sache sind solche Nachforderungen aber nicht: Die BGH-Entscheidung vom 2. Juni 2022 stellt lediglich klar, dass Aufstockungsklagen in Altfällen nicht bereits an der unionsrechtswidrigen Rechtsgrundlage scheitern. Ob aber überhaupt eine Mindestsatzunterschreitung vorliegt, ob Architekten und Ingenieure eine Aufstockung ihrer Honorare entgegen der vertraglichen Vereinbarung verlangen können und ob etwaige Ansprüche nicht bereits verjährt sind, ist stets eine Frage des Einzelfalls, in dem die Interessen von Auftraggebern und Auftragnehmern sorgfältig gegeneinander abzuwägen sind. Jetzt wie ehedem gilt, dass sich an dieser Stelle der Argumentationsspielraum weitet: Überwiegt das öffentliche Interesse an der Einhaltung des Preisrechts das Interesse der Parteien an der Vertragsbindung? Eine pauschale Antwort auf diese Frage gibt es nicht.

Die Liberalisierung ist (fast) angekommen

Für Auftraggeber im Allgemeinen und Stadionbetreiber im Besonderen gilt es nun den Blick in die Zukunft zu richten und die Möglichkeiten der neuen HOAI 2021 auszuschöpfen. Sie dürfen nun im freien Preiswettbewerb Angebote einholen und Architekten und Ingenieure zu Preisen unterhalb der vormaligen Mindestsätze beauftragen. Um eine Vergleichbarkeit der Angebote zu gewährleisten, hat es sich bewährt, auf der Grundlage der Preisparameter der HOAI Kostenvoranschläge einzuholen und den Bietern die Möglichkeit von Auf- und Abschlägen einzuräumen. Soweit Stadionbetreiber jedoch die Eigenschaften von öffentlichen Auftraggebern erfüllen und insoweit das Vergaberecht zu beachten haben, dürfen Planungsleistungen nicht allein aufgrund des Preises vergeben werden. Nach der Vergabeordnung sind Architekten- und Ingenieurleistungen im Leistungswettbewerb zu vergeben, weshalb den leistungsbezogenen Zuschlagskriterien ein überwiegendes Gewicht zukommen muss. Gänzlich frei ist der Wettbewerb um Planungsaufträge in dieser Hinsicht also nicht. Es ist zu wünschen, dass der Gesetzgeber auch an dieser Stelle seinen Griff lockert. (Sportplatzwelt, 29.07.2022)

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