„Das Sportverhalten wird sich ändern“
Im Interview spricht Gerd Landsberg, Hauptgeschäftsführer des Deutschen Städte- und Gemeindebundes (DStGB), über die gesellschaftliche Rolle des Sports, politische Entscheidungen rund um Corona und weitere Herausforderungen für Kommunen.
Landsberg: Sport, Spiel und Bewegung sind wichtige Faktoren für die Persönlichkeitsentwicklung. Die im Sport angelegten sozialen Werte und die Möglichkeiten, Bewegungs-, Spiel- und Sportbedürfnisse auszuleben, sind ein wesentlicher Beitrag zur Gewalt- und Diskriminierungsprävention.
Sportvereine sind mehr als nur Orte der Bewegung und des Wettkampfs, sie nehmen daneben wichtige gesellschaftspolitische Funktionen wahr, von der Inklusion über die Integration bis zur Werteorientierung und der Teilhabe. Die Städte und Gemeinden sollten deshalb die Sportvereine unterstützen. Gemeinsam können sich Kommunen und Vereine für das Zusammenleben vor Ort, Inklusion und Integration, Werteorientierung und Teilhabe sowie der Gesundheitsförderung und Prävention einsetzen. Dabei sollte ein besonderes Augenmerk auf die Förderung von Kindern sozial benachteiligter Familien sowie die Verzahnung mit anderen kommunalen Aufgabenfeldern gelenkt werden. Mit Blick auf die Stadtplanung muss es darum gehen, ortsnahe Bewegungsmöglichkeiten für alle Generationen zu erhalten oder zu schaffen. Sport muss deshalb einen wichtigen Stellenwert in der Stadtentwicklung einschließlich der Stadtplanung haben.
Sportplatzwelt: Wie bewerten Sie die politischen Entscheidungen der letzten Monate rund um den Sport? Würden Sie sagen, dass der Sport im Zuge der Einschränkungen aufgrund von Covid-19 ausreichend berücksichtigt wurde?
Landsberg: Unter den Maßnahmen zur Eindämmung des Coronavirus leidet sowohl der Spitzen- als auch der Breitensport. Man hätte aus unserer Sicht die öffentlichen Sportanlagen so lange wie möglich unter Einhaltung der Hygiene-Maßnahmen geöffnet lassen sollen, um den Zugang zu Bewegungsangeboten möglichst lange aufrecht zu erhalten. Nicht jeder hat einen Garten. Die negativen gesundheitlichen und psychischen Folgen von fehlender täglicher Bewegung gerade bei Kindern und Jugendlichen sind bekannt. Bewegung wirkt z. B. der Antriebslosigkeit entgegen, unter der gerade Kinder und Jugendliche während der Pandemie leiden. Es gibt Berichte, dass Kinder und Jugendliche aufgrund fehlender sozialer Kontakte lethargischer und aggressiver werden. Von daher sollten Bund und Länder ihren Blick stärker auch auf die Sport- und Bewegungsangebote legen.
Sportplatzwelt: Welche nachhaltigen Folgen von Corona fürchten Sie für den kommunalen Sport? Sind Einsparungen im Bereich Sport denkbar bzw. unerlässlich?
Landsberg: Die Menschen werden weiter nach Bewegungsmöglichkeiten suchen. Möglicherweise wird sich aber die Tendenz verstärken, dass die Menschen nicht organisationsgebundene Sportformen, z. B. Radfahren, Joggen, Fitness im Freien oder Schwimmen, bevorzugen. Die Kommunen müssen darauf reagieren, z. B. dadurch, dass Spiel- und Bewegungsräume in eine integrierte Stadtentwicklungsplanung einfließen. Es wird deshalb weiter die Notwendigkeit bestehen, den Sport vor Ort zu fördern. Allerdings mussten wir bereits vor der Corona-Pandemie feststellen, dass die Förderung des Sports und der Erhalt der Sportstätten von der Finanzkraft der Kommune abhängt. Diese Finanzlage kann sich nach der Corona-Pandemie massiv verschlechtern. Dies würde nicht ohne Auswirkungen auf die Städte und Gemeinden bleiben. Wir brauchen deshalb nicht nur eine Kompensation der pandemiebedingten finanziellen Ausfälle, sondern ebenso ein Konjunkturprogramm.
Sportplatzwelt: Zahlreiche Kommunen in Deutschland klagen über einen Investitionsstau. Wie beziffern Sie diesen für Sportstätten? Mit welcher Strategie kann der Sanierungsstau abgebaut werden? Inwiefern wurde bzw. wird die Corona-Krise diesen Investitionsstau beeinflussen?
Landsberg: Fakt ist, dass ein massiver Sanierungsstau besteht. Eine gemeinsame Expertise des Deutschen Olympischen Sportbundes, des Deutschen Städte- und Gemeindebundes und des Deutschen Städtetages von 2018 schätzt den Sanierungsbedarf für alle Sportstätten in Deutschland – kommunale und Vereinssportstätten – auf insgesamt rund 31 Mrd. Euro. Hintergrund ist, dass ein Großteil der Sportstätteninfrastruktur aus den 1960er und 1970er Jahren stammt und damit hinsichtlich der Umsetzung ökologischer und energetischer Standards ein Nachholbedarf besteht.
Abgesehen von modernisierten Sportstätten und Neubauten besteht auch zur Gewährleistung der Barrierefreiheit noch ein Sanierungsbedarf. Derzeit gibt es verschiedene Fördertöpfe des Bundes und der Länder, um z. B. Sportstätten und Schwimmbäder zu sanieren. Der Investitionspakt Sportstätten und das Bundesprogramm „Sanierung kommunaler Einrichtungen in den Bereichen Sport, Jugend und Kultur“ sind gute Ansätze, jedoch sind deren Förderbudgets zu gering, um die umfangreichen Sanierungsstaus der Kommunen abzubauen.
Die Erfahrungen zeigen, dass Förderprogramme von Bund und Ländern mit bürokratischen Auflagen überfrachtet werden. Ein wichtiger Ansatzpunkt wäre eine insgesamt bessere Finanzausstattung der Städte und Gemeinden oder unter Umständen zweckgebundene Regionalbudgets. Damit könnten die Kommunen flexibel auf ihre konkreten Herausforderungen reagieren.
Sportplatzwelt: Inwiefern können die Städte die Corona-Krise als Treiber für die Digitalisierung nutzen? Welche Rolle kann hier der Sport einnehmen? Welche weiteren „positiven“ Effekte können die Kommunen aus der Krise ziehen?
Landsberg: Die Corona-Pandemie hat gezeigt, wie wichtig eine zukunftsfähige und leistungsfähige Digitalisierung ist. Sie hat aber auch schonungslos den Nachholbedarf aufgezeigt, z. B. beim Homeschooling. Auf der anderen Seite können die digitalen Sportangebote auch eine Chance sein, nach der Corona-Pandemie junge Menschen wieder stärker an den Sport und die Sportvereine heranzuführen. Das Thema eSport sollte deshalb in den Städten und Gemeinden stärkeres Gewicht bekommen.
Sportplatzwelt: Welche weiteren Herausforderungen mit einer thematischen Nähe zum Sport sehen Sie fernab von Corona aktuell bzw. in naher Zukunft für die Kommunen?
Landsberg: Ein breites und umfangreichesSportangebot ist in den Kommunen von großer Bedeutung, insbesondere hinsichtlich der gesellschaftlichen Bedeutung des Sports.
Der Bedarf an Sportstätten wird sich allerdings verändern, da sich das Sportverhalten der Bürger und Bürgerinnen ändert bzw. ändern wird. Dies ist begründet in dem Freizeitverhalten, aber auch im demografischen Wandel.
So werden zukünftig Sparten des Gesundheitssport, der insbesondere von Menschen aller Altersklassen genutzt werden wird, wachsen. Zudem sehen Vereine im Gesundheitssport die Möglichkeit, neben den Vereinsbeiträgen zusätzliche Erträge zu erzielen. Dies bedeutet z. B. weniger normierte Sportstätten und mehr Bewegungsräume im öffentlichen Raum sowie multifunktional nutzbare und frei zugängliche Sport- und Bewegungsräume.
Das veränderte Sportverhalten führt dazu, dass die Kommunen eine integrierte Sportentwicklungsplanung brauchen, die das Augenmerk nicht nur oder fast ausschließlich auf klassische Sportstätten legen darf. Nur so kann es gelingen, die Zusammenhänge von freizeitbezogenen Verhaltensweisen (körperliche Aktivitäten) mit den dazu erforderlichen Ressourcen – z. B. Vorhandensein von Bewegungsräumen oder Erreichbarkeit und Zugang zu Sporteinrichtungen und Grünflächen – und dem bewegungsfreundlichen Erscheinungsbild der Quartiere herzustellen und dabei auch ökologische Erfordernisse zu beachten. (Sportplatzwelt, 16.06.2021)