„Wir haben im letzten Jahr rund 600 Mitglieder verloren“

Im Interview spricht Jörg Heydel, Geschäftsführer des SC Bayer 05 Uerdingen, über die Auswirkungen der Corona-Pandemie auf den Großsportverein, den Sanierungsstau in der deutschen Sportstättenlandschaft und Digitalisierung.

Jörg Heydel
Jörg Heydel Bild: SC Bayer 05 Uerdingen
Sportplatzwelt: Über 7 Mio. Kinder und Jugendliche können aktuell aufgrund der Corona-Pandemie keinen Vereinssport ausüben. Wie sieht die Situation in Ihrem Verein aus? Verzeichnen Sie einen Mitgliederrückgang bzw. haben Sie Schwierigkeiten, neue zu gewinnen?
Heydel: Nach jahrelangem stetigem Wachstum haben wir im letzten Jahr etwa 600 unserer Mitglieder verloren, das entspricht ziemlich genau 10% Verlust. Wir sind aber auch sehr dankbar für die überwiegende Menge an Mitgliedern, die uns in dieser Zeit treu bleiben. Das Problem ist, dass im ersten Quartal eines Jahres normalerweise die meisten Eintritte erfolgen, die aktuell aber bei Null liegen. Wir können auch nicht davon ausgehen, dass bei Öffnung der Sportanlagen gleichsam alle wieder den Weg zum Sport finden, obwohl es vor allem für die Kinder essentiell wichtig wäre.

Sportplatzwelt: Mussten Sie auf finanzielle Hilfen Ihres Bundeslands oder des Bundes zurückgreifen, um die Liquidität Ihres Vereins im Rahmen der Corona-Pandemie zu sichern? Erachten Sie die zur Verfügung stehenden Mittel als ausreichend, um den Vereinssport dauerhaft zu sichern?
Heydel: Neben den Mitgliederverlusten mussten und müssen auch weiterhin für den Verein wichtige Events komplett ausfallen, was natürlich stark an den Geldreserven zieht. Durch das starke Entgegenkommen unserer fest angestellten Mitarbeiter in Form von Kurzarbeit und die Treue von Sponsoren mussten wir bisher keine Liquiditätsengpässe anmelden. Klar ist jedoch, dass gerade langfristige Einnahmen wie die fehlenden Mitgliedschaften auch noch einen nachhaltigen Schaden über längere Zeit verzeichnen werden. Diese Vorzeichen müssen nun aber rechtzeitig über spezifische Fördermaßnahmen abgefangen werden. Zudem weiß keiner genau, wie sich die Sportlandschaft im letzten Jahr verändert hat.

Sportplatzwelt: Wie bewerten Sie den gegenwärtigen Zustand Ihrer Vereins-Sportanlagen – welche Pläne bestehen in Zukunft etwa hinsichtlich Modernisierungen oder Sanierungen?
Heydel: Großsportvereine mit eigener Infrastruktur haben ja sowieso eine besondere Problematik. Sie betreiben genau genommen öffentliche Daseinsvorsorge aus zu 100% privat finanzierter Hand, und entlasten den städtischen Haushalt damit erheblich. Denn würden sie die Infrastruktur nicht vorhalten, würde die Kommune die Sport treibenden Mitglieder entsprechend mit zusätzlicher städtischer Sport-Infrastruktur versorgen müssen.  Da die Fixkosten der Infrastruktur auch bei Nichtnutzung in Pandemiezeiten quasi unverändert bleiben, ist das für den Verein schon eine große Herausforderung. Dennoch haben wir in den letzten Monaten viel Zeit und Energie und natürlich auch Geld vor allem in das Thema Modernisierung gesteckt, um für Mitglieder und Andere attraktiv zu bleiben.  Zur Wideraufnahme des Sportbetriebs werden viele Neuerungen bereitstehen und wir haben auch neue und einzigartige Projekte an Land ziehen können. Zum einen geht es dabei um neue Sportarten, zum anderen auch um technische Neuheiten im Sport mit interaktiver Beamertechnik, um nur einige Beispiele zu nennen.

Sportplatzwelt: Welche Rolle spielen in Ihrem Verein ehrenamtliche Tätigkeiten? Welche Entwicklung machen Sie hier aus?
Heydel: Das Ehrenamt ist auch weiterhin die wichtigste Säule eines Sportvereins. Ohne diese vielen engagierten Menschen wäre ein Vereinsleben nicht möglich. Natürlich ist es besonders jetzt zu Zeiten, wo es um die Sicherung und Existenz von Mitarbeitern geht auch immer schwierig die ausreichende oder vielleicht gebührende Aufmerksamkeit ins Ehrenamt zu bringen, aber wir sind trotzdem sehr dankbar und zuversichtlich, diese auch zum Start des Sportbetriebes wieder bei uns begrüßen zu dürfen. Es ist doppelt bemerkenswert, wie Menschen freiwillig Vereine unterstützen, da sicher auch viele von ihnen in den letzten Monaten beruflich oder privat ganz anders gebeutelt waren, als zu Zeiten vor Corona.

Sportplatzwelt: Wie bewerten Sie die jährlich zur Verfügung stehenden Fördermittel in Ihrem Bundesland? Konnten Sie in den vergangenen Jahren mithilfe von Förderprogrammen wichtige Maßnahmen an Ihrer Infrastruktur durchführen? Wie ordnen Sie die Verfügbarkeit von Fördermitteln ein?
Heydel: Der Sanierungsbedarf im Sport ist in jedem Fall wesentlich massiver als das irgendein aufgelegtes Förderpaket auch nur annähernd abbilden könnte, schließlich ist der Großteil der Infrastruktur aus den 70er-Jahren des letzten Jahrhunderts. Bildlich gesprochen leben wir hier von der Hand in den Mund. Dennoch muss man anerkennen, dass es nun in NRW mit dem Förderpaket „Moderne Sportstätten 2022“ eine wichtige Initialzündung gab, von dem wir auch profitieren. Wir können uns nicht erinnern, wann das letzte Mal der Sanierungs- und Modernisierungsbedarf der Vereinslandschaft so ernst genommen wurde. Wir hoffen sehr, dass aus diesem Programm in Zukunft eine dauerhafte Fördermaßnahme wird. Z.B. in der Form, dass jeder privat investierte Euro in Sportinfrastruktur mit einem Steuereuro ergänzt wird. Dankenswerterweise haben wir von unserer Stadt zuletzt eine Förderung aus der Sportpauschale für einen Kunstrasenplatz erhalten. Aber allein die Tatsache, dass dieses Projekt die gesamten Mittel der Stadt für zwei Jahre aus dem regulären Sportfördertopf bindet, zeigt das ganze Dilemma der Förderung von zugegebenermaßen teurer Sportinfrastruktur.

Sportplatzwelt: Gibt es bestimmte Trend-Themen, die aktuell auf der Agenda Ihres Vereins weit oben stehen? Welche?
Heydel: Da gibt es viele. Das Thema Cricket ist gerade erst erfolgreich gestartet. Die zweitgrößte Sportart der Welt ist in Deutschland sehr unbekannt aber ist im Zuge der Zuwanderung immer gefragter. Wir konnten den Cricketverband überzeugen, hier bei uns am Standort den Bundesstützpunkt einzurichten und sind zuversichtlich, dass dieses Thema großes Potential hat. Daneben haben wir gerade Themen wie eSport, StandUp Paddeling, Windfoiling im Test, nachdem wir in der Vergangenheit mit Trends wie Parkour bereits sehr gute Erfolge hatten. Auch das Thema Outdoorsport, Calisthenics und Crossfit werden eine größere Rolle spielen.

Um es aber weniger an Trends festzumachen stärken wir insbesondere die Anstrengungen im Kindersport, in unserer Kindersport-Akademie. Mit bereits knapp 1.000 Mitgliedern ein Erfolgsmodell, welches immer gefragter werden wird. Basierend auf dem Fakt, dass immer weniger Kinder sich genug bewegen und sichtbar motorische Defizite aufweisen, setzen wir ein auf einem Curriculum beruhendes Lernkonzept entgegen. In Kleingruppen bekommen die Kinder über ausgebildete Kindersportexperten eine grundmotorische Ausbildung, wobei der Spaß dabei natürlich nicht zu kurz kommen darf. Der Erfolg gibt uns sicher Recht.

Sportplatzwelt: Digitalisierung, Social Media & Co.: Spielen diese Möglichkeiten bereits eine Rolle im Rahmen Ihres Vereinsmanagements oder der Verwaltung?
Heydel: Digitalisierung ist ein riesiger Begriff. Hinzu kommt, dass diese schwieriger wird, je breiter man aufgestellt ist. Rein theoretisch gibt es mittlerweile für jedes Angebot eine App am Markt oder ein System mit dem man arbeiten kann. Aber das wäre eine neue Art von Bürokratie, die wir uns schaffen würden. In den letzten Monaten haben wir es aber geschafft ein System zu finden, welche viele Aspekte von digitaler Mitgliederverwaltung, Platzvergaben, Bezahlsystemen, Zugangsregelung etc. vereint. Wir müssen mit dem Anbieter zusammen noch ein wenig entwickeln, bis es perfekt läuft, aber die ersten Tests sind hervorragend und werden gut angenommen. Andere Bereiche werden jetzt folgen, aber man kann sagen in den letzten Monaten war das Aufholtempo enorm. Neben einer Digitalisierungsstrategie bedarf es jedoch auch einer Agilisierungsstrategie. Organisationen der Zukunft -auch Vereine aus dem Anfang des letzten Jahrhunderts- müssen ständig im Fluss sein, flexibel und mobil bleiben, wie wir Menschen auch. (Sportplatzwelt, 23.03.2021)

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