„Mitgliederentwicklung ist als Querschnittaufgabe zu verstehen“

Interview mit Andreas Silbersack, DOSB-Vizepräsident für Breitensport und Sportentwicklung, über die Mitgliederentwicklung der Sportvereine in Deutschland sowie Erfolgsfaktoren bei der Mitgliedergewinnung und -bindung.

Sportplatzwelt: Wie bewerten Sie insgesamt die Mitgliederentwicklung im deutschen Vereinssport in den letzten 15 Jahren?
Silbersack: Erfreulich stabil. Die Gesamtbevölkerung wächst  verhalten,  die  Sportvereine  legen  deutlicher  zu.  Seit 2000 haben  wir   354.000   Vereinsmitglieder   hinzugewonnen,  die  Anzahl  der  Vereine stieg um rund 1.400. In der aktuellsten Erhebung 2018 sind 27.430.682 Mitgliedschaften in 89.121 Vereinen dokumentiert.  Wir bewegen uns damit besser als andere große gesellschaftliche Kräfte wie Kirchen, Parteien oder Gewerkschaften. Der Sport als sozialer Kitt der Gesellschaft ist intakt, die Angebote der Sportvereine sind für die Bevölkerung nach wie vor attraktiv.

Sportplatzwelt: Während der Organisationsgrad von Kindern und Jugendlichen seit 2000 steigt, sinkt die absolute Anzahl der jungen Vereinsmitglieder im Sportverein insgesamt. Womit ist das zu erklären?
Silbersack: Nun, die DOSB-Bestandserhebung weist aus, dass sich die absolute Zahl der Vereinsmitgliedschaften von Kindern und Jugendlichen bis 18 Jahre in diesem Zeitraum von rund 7,8 Mio. auf 8,3 Mio. erhöht hat. Und dies obwohl die Anzahl der bis 18-Jährigen in der Gesamtbevölkerung von 2000 bis 2017 von 16,6 Mio. auf 14,4 Mio., d.h. um 13,3 %, gesunken ist. Das erklärt dann auch den deutlichen Zuwachs im Organisationsgrad.

Sportplatzwelt: Mit welchen Herausforderungen haben Sportvereine im Jahr 2019 hinsichtlich der Mitgliederzahlen zu kämpfen? Was sind die zentralen Themenfelder?
Silbersack: Die Mitgliedszahlen entwickeln sich gut. Die größte Herausforderung besteht vielmehr darin, die Mitglieder zu überzeugen, sich ehrenamtlich im Verein zu engagieren, z. B. als Vorstandsmitglied oder als Trainer/innen und Übungsleiter/innen. Die Mitglieder in den Vereinen sind zwar bereit, sich punktuell einzubringen, etwa beim Kuchenverkauf bei Heimspielen oder beim Vereinsfest.  Aber sie sind immer weniger bereit oder in der Lage, sich in langfristigem und regelmäßigem Engagement zu binden. Das ist tatsächlich ein existenzielles Problem, denn ohne Vorstandsmitglieder oder Trainer/innen kann der Verein nicht auf Dauer bestehen. Das ist kein exklusives Problem des Sports, damit haben alle Bereiche der Zivilgesellschaft zu kämpfen. Ein weiteres Problem liegt in der Gewinnung von jugendlichen Leistungssportlerinnen und Leistungssportlern. Häufig werden hier die immer längeren Anwesenheitszeiten von Kindern und Jugendlichen in der Schule als Ursache genannt. Dieser Trend macht es für die Sportvereine in der Tat nicht einfacher. Die eigentlichen Ursachen aber sitzen tiefer bzw. beginnen früher. Bewegung spielt eine immer geringere Rolle im Leben von Kindern. Im Kindergarten kommt sie zu kurz, in der Grundschule treffen Kinder kaum noch auf ausgebildete Sportlehrer/innen. Der Talentpool, aus dem Vereine und Verbände schöpfen können, wird immer kleiner, er trocknet aus. Mit fatalen Folgen für die Gesundheit der Gesamtbevölkerung, fehlender Leistungssportnachwuchs ist dann beinahe als Kollateralschaden zu betrachten.

Sportplatzwelt: Was sind aus Ihrer Sicht die Erfolgsfaktoren bei der Mitgliederbindung und -gewinnung? Und welche Lösungsansätze und Angebote bietet der DOSB, um die Vereine zu unterstützen?
Silbersack: Eine gezielte und wirksame Mitgliederentwicklung setzt strategische Grundentscheidungen und systematische Organisationsentwicklung voraus. Auf Vereinsebenen sind hierbei die wichtigsten Fragen: Wollen wir mehr Mitglieder und können wir dies mit unseren ehrenamtlichen Kräften leisten bzw. brauchen wir hauptberufliche Unterstützung? Welche neuen Angebote passen zu unserem Verein, zu den verfügbaren Sportstätten und zu unserer Umgebung? Im optimalen Falle ergänzen sich Maßnahmen auf Vereins- und Verbandsebene, bauen aufeinander auf und profitieren voneinander. Die Verbände müssen Mitgliederentwicklung als Querschnittsaufgabe verstehen und in allen Bereichen mitdenken. Und sie müssen über den Tellerrand schauen und mitverfolgen, wo andere erfolgreich sind und was nicht funktioniert hat.

Sportplatzwelt: Mit der „Vereinsapp“ unterstützen Sie Vereine in gewissem Maße bei der Digitalisierung. Was steckt dahinter und wie kommt dieses Angebot an?
Silbersack: Die App ist ein Service- und Kommunikationsmedium und dient der Vereinfachung von Prozessen in der täglichen Vereins- und Verbandsarbeit. Mitgliederverwaltung, Hallen- und Platzbelegung kann sie ebenso wie Interaktion mit Mitgliedern, Sponsoren, Fans und der Öffentlichkeit. 350 Vereine sind in der Startphase mit an Bord, die Zahl steigt langsam, aber stetig an.

Sportplatzwelt: Auch der eSport tritt mittlerweile im Breitensport in Erscheinung. Welches Potenzial und welche Gefahren sieht der DOSB im Bereich eSport für den Breitensport und die Vereine?
Silbersack: Virtuelle Sportspiele und eGaming haben ihren Platz in Jugend- und Alltagskultur. Auch wenn wir eGaming nicht als eigenständige sportliche Aktivität einordnen, unterstützen wir die Entwicklung von Qualifizierungen und von pädagogischen Konzepten für den Umgang mit elektronischen Sportartensimulationen und eGaming in Vereinen. Vereine können so ihre außersportlichen Angebote erweitern, gesellschaftliche Verantwortung für den Medienkonsum wahrnehmen und einen konstruktiven Umgang mit Computerspielen entwickeln. Dabei werben wir aber dafür, nur diejenigen eGaming-Aktivitäten anzubieten, die den Werten des Sports entsprechen.