„Nachhaltige Baustellen haben einen hohen Stellenwert im Projektverlauf“

Im Interview mit Sportplatzwelt spricht Markus Kelzenberg, Abteilungsleiter Zertifizierungsstelle der Deutschen Gesellschaft für Nachhaltiges Bauen (DGNB), über die Aspekte, die es bei der nachhaltigen Baustellenplanung und Bauausführung zu beachten gilt.

Markus Kelzenberg
Markus Kelzenberg Bild: DGNB
Sportplatzwelt: Oft stehen bei nachhaltigen Bauprojekten vor allem die Verwendung nachhaltiger Baumaterialien und der ressourcenschonende Betrieb im Fokus. Welchen Stellenwert sollte bereits die Nachhaltigkeit der Baustelle im Projektverlauf einnehmen?
Kelzenberg: Eine im Sinne der Nachhaltigkeit ausgeführte Baustelle hat einen hohen Stellenwert im Gesamtverlauf des Projektes. Das zeigt sich gerade am Beispiel der Baumaterialien.

Die Auswahl dieser nach ökologischen Kriterien ist das eine. Auf der Baustelle sollte unbedingt dokumentiert werden, welche Baumaterialien tatsächlich verwendet werden. Gerade in Bezug auf das Thema der Wohngesundheit ist es wichtig, vor Ort sicherzustellen, dass keine schadstoffbelasteten Additive zugefügt werden.

Sportplatzwelt: Welche qualitativen, gesundheitlichen, sozialen und vor allem ökologischen Aspekte, Variablen und Kriterien machen eine Baustelle nachhaltig?
Kelzenberg: Aus unserer Sicht gibt es fünf zentrale Kriterien, die eine Baustellenplanung nachhaltig machen: Die Baustellenorganisation, der Ressourcenschutz, die Sicherstellung der Gesundheit und Soziales, die Kommunikation mit der lokalen Öffentlichkeit und die Qualität der Bauausführung.

Durch eine entsprechende Baustellenorganisation soll die Beschaffungs- und Bauphase reibungslos und sicher gewährleistet werden. Zudem sollen Auswirkungen auf die Umwelt und der Verbrauch von Ressourcen minimiert, die Gesundheit geschützt und die gesellschaftliche Akzeptanz der Baumaßnahme durch eine umfassende Kommunikation mit der Nachbarschaft gefördert werden. All dies führt zu kürzeren Bauzeiten, geringeren Baukosten und sinkenden Risiken. Zur Baustellenorganisation gehört z. B. die Ordnung auf dem Baufeld, ein Wertstoffmanagement vor Ort oder Schutzmaßnahmen von Flora und Fauna.

Beim Thema Ressourcenschutz geht es um die Förderung des Konzepts der Circular Economy, also der möglichst langen Nutzung von Ressourcen und der Vermeidung einer Deponierung. Das lässt sich auf der Baustelle positiv beeinflussen. Durch eine maximale Separation von Abfallfraktionen lässt sich das Recycling und die Entsorgung besser und oft auch kostengünstiger bewerkstelligen. Des Weiteren sollen Materialen möglichst vor Ort wiederverwendet und aufbereitet werden. Um all diese Themen zu fördern, braucht es zum einen Transparenz darüber, welche Verfahren und Verwertungswege möglich sind und zum anderen die Sensibilisierung der am Bau Beteiligten für diese Themen. Ganz konkret geht es beim Ressourcenschutz z. B. auch darum, einen möglichst geringen erneuerbaren Energieverbrauch sicherzustellen, die Infrastruktur so zu vernetzen, dass möglichst geringe Transportwege entstehen und den Trinkwasserverbrauch zu reduzieren.

Dieses Interview ist auch im neuen Kompendium Nachhaltigkeit erschienen. Im neuen Standardwerk von Sportplatzwelt, das ab sofort im Online-Shop bestellt werden kann, erfahren Sie alles rund um den Themenkomplex Nachhaltigkeit bei der Planung, beim Bau und beim Betrieb von Sportplätzen, Sporthallen, Freizeitanlagen & Co. sowie bei der täglichen Arbeit im Sportamt oder Verein.

Das Thema Gesundheit spielt eine wesentliche Rolle auf Baustellen. Dazu zählt z. B. die allgemeinmedizinische Vorsorge wie etwa eine Risikoanalyse von besonderen Gefährdungen und Belastungen, aber auch gesundheitsfördernde Arbeitsmittel wie z. B. Gerüste für ergonomische Arbeitshöhen oder zusätzliche Hebewerkzeuge. Weiterhin ist es im Sinne der sozialen Nachhaltigkeit, den Mitarbeitenden Rückenschulen oder Trainingsmöglichkeiten im Umfeld anzubieten. Wichtig ist auch, dass fundierte Arbeits- und Sicherheitspläne für kontaminierte Bereiche sowie eine Gefährdungsbeurteilung stattfindet. Für all dies benötigt es eine regelmäßige, transparente Kommunikation zwischen Bauherr, Bauleiter und Bauhandwerkern. Zudem sollte gerade auch auf der Baustelle für eine entsprechende Arbeitsplatzqualität gesorgt werden, wie beispielsweise die Unterstützung der Fitness oder ein Job-Bike. Nicht zuletzt gehört zur nachhaltigen Baustelle auch, dass Mitarbeitende durch Sozialleistungen abgesichert sind.

Die Kommunikation mit der lokalen Öffentlichkeit ist ein weiterer Aspekt der nachhaltigen Baustelle. Baustellen haben durch ihre Wirkungen auf die Umwelt das Potenzial zu Konflikten. Deshalb ist es wichtig, das Umfeld frühzeitig über den Umfang der Baumaßnahmen zu informieren, um die Akzeptanz zu stärken und die wechselseitigen Bedürfnisse von Menschen im direkten Umfeld zu schützen. Konkrete Maßnahmen sind neben der Information auch konkrete Ansprechpartner zu benennen und lokale Betriebe oder Anwohner durch Veranstaltungen o.ä. zu integrieren.

Nicht zuletzt braucht es für die konsequente Umsetzung natürlich eine Instanz zur Qualitätssicherung. Der Bauherr braucht eine angemessene Dokumentation, um seine Ziele aus der Planung zu realisieren und die Bauüberwachung zu koordinieren. Um hier zielführend zu arbeiten, braucht es die klare Zuschreibung von Verantwortlichkeiten. Ein konkretes Beispiel ist die Sicherstellung, dass auch wirklich die Baumaterialien verwendet werden, die geplant wurden. Gerade in Bezug auf das Thema Schad- und Risikostoffe ist es wichtig, die Baumaterialien vor Ort zu prüfen und zu dokumentieren. Die Dokumentation sowie Anleitungen zur Pflege, Wartung und für den Betrieb bilden die Grundlage für einen späteren nachhaltigen Betrieb durch den Nutzenden.

Sportplatzwelt: Wie können Kommunen bei der Ausschreibung öffentlicher Bauaufträge sichergehen, dass auch die Baustelle selbst den angestrebten Nachhaltigkeitsstandards entspricht?
Kelzenberg: Sie sollten die Nachhaltigkeitsziele als konkrete Anforderungen in die Ausschreibung aufnehmen. Dazu gehören Energiethemen wie der Einsatz von „Öko“-Strom, von energieeffizienten Baumaschinen und den Betrieb von Winterbauheizungen mit erneuerbaren Energien. Dazu gehört aber auch die Vermeidung von Trinkwasser für den Bauprozess, die Rückführung von Baustoffresten zum Hersteller, die Vernetzung von Baustellen, um Ressourcen gemeinsam zu nutzen und der Einsatz von Recyclingmaterialien. Es hilft zudem, die Themen in die Kommunikation auf dem Baufeld und im Umfeld aufzunehmen. Des Weiteren ist es zielführend, wenn die Logistikkonzepte der innerstädtischen Baustellen verknüpft werden.

Bewertungskriterien: DGNB System für Baustellen

Qualität der Bauausführung (17 %)
- Baustellenmanagement
- Qualitätssicherung
- Wartungs-, Inspektions-, Betriebs- und Pflegeanleitungen

Kommunikation (16 %)
- Information der Öffentlichkeit
- Information der Anwohner
- Information des lokalen Gewerbes
- Information lokaler Betriebe

Gesundheit und Soziales (22 %)
- Gesundheitsprävention
- Sicherheit, Gefährdungsbeurteilung
- Projektinterne Kommunikation
- Soziale Faktoren

Bauorganisation (20 %)
- Baustellenplanung
- Bauablauf- und Bauzeitenpläne
- Vermeidung von Belastungen (Baustelle & Umfeld)

Ressourcenschutz (25 %)
- Energie: Einsparung und Emissionsminderung
- Baumaterialien: Wiederverwendung und -verwertung
- Trinkwasser: Minimierung und Datentransparenz

Sportplatzwelt: Welche Vorteile bieten hierbei entsprechende Zertifizierungssysteme, z. B. das DGNB-Zertifikat für nachhaltige Baustellen – sowohl für Bauherren als auch für Kommunen und Bauunternehmen?
Kelzenberg: Die eingangs aufgeführten fünf Kriterien bilden den Kern des Zertifizierungssystems für nachhaltige Baustellen. Das System haben wir ins Leben gerufen, um erstmals eine Grundlage und einen gemeinsamen Standard zu schaffen, auf den sich alle am Bau Beteiligten berufen können. Die Kriterien wurden mit Expertinnen und Experten der Branche erarbeitet und an realen Projekten erprobt. So können wir Kriterien entwickeln, die so ambitioniert sind, dass sie die Branche verändern und zugleich aber auch marktfähig, also umsetzbar sind. Zufriedene Mitarbeitende und Nachbarschaft, Planungs- und Kostensicherheit, reduzierter Ressourcenverbrauch und damit geringere Umweltfolgekosten sind wesentliche Vorteile, die sich für die genannte Zielgruppe ergeben.

Alle Zertifizierungssysteme der DGNB fußen auf einem ganzheitlichen Nachhaltigkeitsverständnis, das Ökologie, Ökonomie und Soziokulturelles gleichermaßen bewertet. Zudem wird der gesamte Lebenszyklus eines Bauwerks berücksichtigt, der die Gewinnung und Herstellung der Baumaterialien ebenso miteinschließt, wie den Bauprozess, den Betrieb und einen späteren Rückbau. So wird sichergestellt, dass (Umwelt-)Probleme nicht in eine spätere Phase verschoben werden.

Sportplatzwelt: Wie lässt sich die Einhaltung der durch den Bauherren bzw. öffentlichen Auftraggeber vorgegebenen Nachhaltigkeitskriterien während der Baustelleneinrichtung und der Baudurchführung in der Praxis kontrollieren?
Kelzenberg: Das ist eine zentrale Frage, die wir uns bei der Entwicklung des Zertifizierungssystems für nachhaltige Baustellen gestellt haben. Möglich wird die Kontrolle durch die klare Zuschreibung von Verantwortlichkeiten, die Sicherstellung, dass die verantwortlichen Personen auch wirklich zur richtigen Zeit am richtigen Ort sind und die exakte Dokumentation.

Während dem Bauprozess müssen in der DGNB Zertifizierung regelmäßig Berichte eingereicht werden, die aufzeigen, dass die Anforderungen eingehalten werden. Nicht zu vergessen ist natürlich, alle am Bau Beteiligten entsprechend zu schulen – auch dieser Aspekt findet sich in mehreren unseren Kriterien wieder. Diese Personen werden ihre gewonnen Erkenntnisse auf die nächste Baustelle mitnehmen.

KOMPENDIUM NACHHALTIGKEIT HIER BESTELLEN! 
Titel: KOMPENDIUM NACHHALTIGKEIT
Veröffentlichungsdatum: April 2023
Autor: Stadionwelt / Sportplatzwelt
Sprache: Deutsch
Format: DIN A4
Umfang: 148 Seiten

(Sportplatzwelt, 04.04.2024)

Weitere News - Nachhaltigkeit

Nachhaltigkeit

In sechs Kursen zum Profi in Sachen Deckenstrahlplatten

Deckenstrahlplatten sind laut Raumklimaspezialist Zehnder die Zukunft der Gebäudetemperierung. Er bietet deshalb Planern, Architekten und Installateuren eine Web-Seminarreihe an. Die halbstündigen Kurse sind kostenlos. mehr

Nachhaltigkeit

Neue Runde für Expertenseminare zur Energiewende

„Wie werde ich ein aktiver Teil der Energiewende?“ – Das erfahren Teilnehmende in der diesjährigen Ausgabe der renommierten Expertenseminarreihe von Kaimann, Oventrop, Reflex, Waterkotte und Zehnder. mehr

Flutlicht

Leuchtenhersteller veröffentlicht mehr als 2.000 EPDs

Signify hat sich verpflichtet, die Umweltauswirkungen seiner gesamten Produktpalette zu veröffentlichen. Das Unternehmen hat bereits über 2.000 Umweltproduktdeklarationen (EPDs) zur Verfügung gestellt, die mehr als 70.000 Produktvarianten weltweit abdecken. mehr

Weitere News - Bauunternehmen

Aktuelles

Reform des Vergaberechts: Beginn der öffentlichen Konsultation

Das Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz hat am 29. Dezember 2022 die Konsultation der Öffentlichkeit zur avisierten Transformation des Vergaberechts begonnen. Eine Teilnahme ist bis zum 14. Februar möglich. mehr

Aktuelles

BMWK: Erster Bericht zur Vergabe öffentlicher Aufträge

Erstmals wurden jetzt statistische Daten zur Vergabe öffentlicher Aufträge aus der neuen vollelektronischen Vergabestatistik des Bundesministeriums für Wirtschaft und Klimaschutz (BMWK) veröffentlicht. mehr

Bauunternehmen

Spatenstich für neues Hallenbad

In Kriftel im Main-Taunus-Kreis haben jetzt die Arbeiten für fas neue Kreishallenbad begonnen. Damit werden Flächen für das Schulschwimmen und auch für den Vereinssport geschaffen. Die Eröffnung ist für Ende kommenden Jahres geplant. mehr