SG Weiterstadt: Der nachhaltige Sportverein

Der hessische Großsportverein SG Weiterstadt engagiert sich in vielfältiger Weise für das Thema Nachhaltigkeit: Vom ressourcenschonenden Betrieb über Biodiversität und Artenvielfalt bis hin zu sozialen und pädagogischen Projekten.

Direkt vor den Toren Darmstadts findet sich im 25.000 Einwohner zählenden Weiterstadt mit der Sportgemeinde Weiterstadt ein Großsportverein, der sich das Thema Nachhaltigkeit in all seinen Facetten auf die Fahne geschrieben hat. Der seit seiner Gründung im Jahr 1886 auch infrastrukturell stetig gewachsene Sportverein zählt heute rund 2.500 Mitglieder.

Neben klassischen Sportangeboten wie Tennis, Leichtathletik & Co. hat die SG Weiterstadt in den vergangenen Jahren durch zahlreiche infrastrukturelle und organisatorische Maßnahmen dafür gesorgt, dem allgemeinen Wandel des Sportverhaltens durch zeitgemäße neue Angebote für Nicht-Mitglieder zu begegnen. Hinzu kommt ein vereinseigener Sportkindergarten, mit dem sich der Verein als Mitglied des städtischen Bildungsbeirats auch über seine Rolle als klassischer Sportverein hinaus in Weiterstadt engagiert. Dabei verfolgt der Verein bei all seinen Engagements und Projekten klar formulierte Nachhaltigkeitsziele – nicht nur ökologischer, sondern vor allem auch sozialer Natur.

Aktuelle Herausforderungen

Nichtsdestotrotz sieht sich auch der hessische Großsportverein mit denselben Problemen konfrontiert, die derzeit und seit einigen Jahren viele Vereine in Deutschland begleiten – vom Rückgang des Ehrenamts über die steigende Nachfrage nach Sportangeboten abseits klassischer Vereinsstrukturen bis hin zur aktuellen Energiekrise. Michael Gießelbach, Vorsitzender der SG Weiterstadt: „Auch wir beobachten eine sinkende Bereitschaft für das Ehrenamt, dies in allen Kategorien vom Übungsleiter bis hin zu Vorstandsfunktionen. Einer der Hauptgründe ist die insgesamt sinkende Bereitwilligkeit, sich über die reine Sportausübung hinaus zu engagieren, das beginnt bei den offiziellen Ämtern wie Vereins- und Abteilungsvorstandsfunktionen über die Bereitschaft zu unentgeltlichen Übungsleitertätigkeiten bis hin zu Helferdiensten wie Bewirtung, Fahrdiensten oder Arbeitseinsätzen.“

Neben der allgemein zurückgehenden Bedeutung des Vereinslebens abseits von Training und Wettkampf sieht Gießelbach den Grund für die abnehmende Bereitschaft zur Übernahme eines Ehrenamts vor allem in der zunehmenden Komplexität der Aufgaben und dem zeitlichen Aufwand, mit dem sich modern aufgestellte Sportvereine seit einigen Jahren konfrontiert sehen. „Zunehmende Auflagen und Regularien vor allem im Bereich Finanzen, Steuern und sonstigen Rechtsnormen potenzieren die Arbeitslast und das notwendige Fachwissen als Voraussetzung.“

Solarthermieanlagen zur Warmwasserbereitung.
Solarthermieanlagen zur Warmwasserbereitung. Bild: SG Weiterstadt

Doch wie reagiert der Großsportverein auf den zunehmenden Rückgang Ehrenamtlicher, die schließlich das Rückgrat und Herz des organisierten Vereinssports bilden? Die bloße Bewerbung des Ehrenamts sei in der Praxis meist wenig erfolgversprechend – der Verein setze viel mehr auf persönliche Motivation und direkte Ansprache des Nachwuchs: „Wir versuchen, potenziellen Nachwuchs – als Jugendliche – so früh wie möglich anzusprechen und für ein Engagement zu begeistern. Dort, wo uns das gelingt, bleiben diese dann dem Verein häufig in unterschiedlichen Funktionen treu, sofern sie die Region nicht ausbildungs- oder berufsbedingt verlassen.“ Hinzu kommt, dass der Verein versuche, die Rahmenbedingungen für Ehrenamtliche so gut wie möglich zu gestalten – z. B. durch eine zielgerichtete Aufgabenteilung, um die Arbeitsbelastung so gering wie möglich zu halten, eine lange und intensive Einarbeitung durch Vorgänger, um die Hemmschwelle und Belastung für Neueinsteiger gering zu halten und schlussendlich auch die Übernahme von Kosten für Ausbildung, Lizensierung und Lizenzerhalt.

Vor allem im Bereich der Übungsleiter spiele eine adäquate Bezahlung eine immer größere Rolle, weshalb der Verein hier deutlich mehr investiere als in der Vergangenheit. „Wir sehen aber, dass mit großer Wahrscheinlichkeit in Zukunft gerade in größeren Vereinen das Hauptamt eine größere Rolle spielen wird“, so Gießelbach. „Auch wir haben bereits begonnen, auch im sportlichen Bereich mit echten, sozialversicherungspflichtigen Arbeitsverträgen zu arbeiten – das war vor 10 Jahren noch nicht notwendig.“

Der Neubau des Sportzentrums samt neuer Tennishalle erfolgte im Jahr 1990.
Der Neubau des Sportzentrums samt neuer Tennishalle erfolgte im Jahr 1990. Bild: SG Weiterstadt

Auch wenn sich die Mitgliederzahlen der SG Weiterstadt laut Gießelbach in den vergangen 10 Jahren – abgesehen von einem einschneidenden Rückgang um bis zu 20 % zu den Hochzeiten der Corona-Pandemie – mit jährlichen Aus- und Eintritten in Höhe von rund 15 % die Waage halten, beobachten auch die Verantwortlichen beim hessischen Großsportverein wie viele andere Vereine eine steigende Nachfrage nach sportlichen Angeboten außerhalb klassischer Vereinsstrukturen. Diesem Wandel des Sportverhaltens begegnet die SG Weiterstadt mit einer zunehmenden Vielfalt zahlungspflichtiger Angebote für Nicht-Mitglieder und tritt heute mit einem Anteil an Sportlerinnen und Sportlern, die ohne Vereinsmitgliedschaft in den vereinseigenen Sportstätten Sport treiben, von knapp 30 % als moderner Dienstleister auf.

Gießelbach: „Kursangebote und andere kostenpflichtige Angebote spielen eine große Rolle und werden immer wichtiger. Zusätzlich zu unseren Mitgliedern nutzen rund 1.200 Sportler unsere Angebote für Gäste – mit steigender Tendenz. Wir haben hier eine sehr einfache Grundhaltung: Wenn jemand kein Interesse am Vereinsleben hat, dann ist es immer noch besser, er treibt unverbindlich und möglicherweise nur temporär Sport als gar nicht. Deshalb bauen wir, wo es möglich ist und Sinn ergibt, diese Angebote auch aus.“ Zwar sehe sich die SG Weiterstadt als „Verfechter eines eher traditionellen Vereinsbildes“ und versuche, dies auch zu erhalten, allerdings müsse man auch diese geänderte Nachfragstruktur bedienen.

So unterstützt der Verein prinzipiell auch selbstorganisierte und informelle Sportangebote im Rahmen kommunaler Sportentwicklungsplanungen im öffentlichen Raum. „Aber mit dem ganz klaren Fokus, Bürger für den Sport zu begeistern und dann im nächsten Schritt zu zeigen, dass der Sport im Verein viele Vorteile hat“, so Gießelbach. „Die Werbung für den Vereinssport spielt hier folgerichtig eine große Rolle.“ Zwar befürworte der Verein auch kommunale Bewegungsinitiativen, die nicht auf eine Förderung des Vereinssports abzielen, beteilige sich hier in der Regel aber aus naheliegenden Gründen nicht aktiv – abgesehen von Angeboten mit dem Fokus auf sozial nachhaltigen Projekten wie Integration und Inklusion.

Sportangebote für Nicht-Mitglieder gewinnen an Bedeutung.
Sportangebote für Nicht-Mitglieder gewinnen an Bedeutung. Bild: SG Weiterstadt

Nachhaltigkeit im Fokus

Dass die SG Weiterstadt vor allem in Sachen Umwelt- und Klimaschutz sowie ökologischer Nachhaltigkeit eine Vorreiterrolle in der deutschen Breitensportlandschaft einnimmt, zeigen unter anderem die ambitionierten infrastrukturellen Projekte der vergangenen Jahre. Gießelbach: „Bereits seit 1996 führen wir immer wieder Projekte zum Thema Nachhaltigkeit durch – einerseits, um Ressourcen zu schonen, andererseits auch, um Kosten für die Nutzung von Ressourcen zu senken. Projekte zum Einsparen des Wasserverbrauchs und der Strahlungsreduzierung machten den Anfang. Es folgten mehrere Projekte zum Thema Stromerzeugung, Stromspeicherung und Eigenverbrauch, die teilweise mit hohen Investitionen verbunden waren.“

So ist die SG Weiterstadt in Sachen Stromversorgung heute zu 14 % autark und spart bis zu 415 Tonnen CO2 durch die Erzeugung von Strom im Gegenwert von rund 200.000 Euro pro Jahr ein. „Bei besseren Speichermöglichkeiten wäre der Autarkiegrad sogar noch höher – bis zu 100 % wären möglich“, so Gießelbach. In diesem Zusammenhang betreibt die SG Weiterstadt insgesamt drei Solarthermieanlagen zur Warmwasserbereitung und hat in den vergangenen Jahren moderne Brennwertheizungen installiert. Seit dem Jahr 2018 befasst sich der Verein zudem vermehrt mit den Themen Biodiversität und Artenvielfalt und hat begonnen, ungenutzte Grünflächen auf dem Vereinsgelände zu renaturieren.

Im Jahr 2018 hat der Verein mit der Renaturierung ungenutzter Grünflächen begonnen.
Im Jahr 2018 hat der Verein mit der Renaturierung ungenutzter Grünflächen begonnen. Bild: SG Weiterstadt

Nachhaltigkeit hat bei SG Weiterstadt dabei aber nicht nur ökologische Dimensionen: Auch die soziale Nachhaltigkeit steht beim hessischen Großsportverein ganz weit oben auf der Agenda. So ist der Verein nicht nur Stützpunktverein im Programm „Integration durch Sport“ der Sportjugend Hessen, sondern betreibt auch einen eigenen Sportkindergarten und engagiert sich als Mitglied im städtischen Bildungsbeirat entsprechend auch für pädagogische und bildungspolitische Themen. Gießelbach: „Wir sehen unsere Aufgabe als großer Mehrspartenverein nicht nur als Anbieter unterschiedlicher Arten von Sportausübung.“ So sehe sich der Verein vor allem auch bei den Themen Inklusion und Integration in der Verantwortung.

Gießelbach: „Der mit beiden Themen verbundene Aufwand kann oft nur durch größere Vereine mit ihren Möglichkeiten und ihrer Infrastruktur geleistet werden. Unsere Aufgabe ist es dabei, nicht nur Angebote für Menschen mit Beeinträchtigung oder unterschiedlichen sozialen, kulturellen und wirtschaftlichen Hintergründen anzubieten, sondern diese wirklich integrativ zu gestalten, also zum festen Bestandteil der regulären Angebote zu machen.“ Die Voraussetzungen dafür könne der organisierte Sport oft besser schaffen als andere Institutionen. So hätten die Flüchtlingskrisen 2025/16 sowie 2022 eindrucksvoll gezeigt, dass die SG Weiterstadt als größerer Verein sehr schnell, unkompliziert und informell helfen und unterstützen konnte – beispielsweise in Form von kostenlosen Angeboten, der Bereitstellung von Räumlichkeiten, personelle Unterstützung oder die schnelle Integration in bestehende Übungsgruppen.

Weitere Engagements, die laut Gießelbach aus dem Selbstverständnis der SG Weiterstadt als Mitverantwortlicher für die Entwicklung der Kommune und des sozialen Miteinanders resultieren, sind die Mitgliedschaft im städtischen Bildungsrat und der Betrieb eines vereinseigenen Sportkindergartens. Der Bildungsbeirat der Stadt Weiterstadt ist ein durch die Stadtverordnetenversammlung beauftragtes Gremium, das sich vor allem mit der Entwicklung bildungspolitischer Maßnahmen auf lokaler Ebene befasst, politische Entscheidungsträger in allen Fragen der Bildung, Betreuung und Erziehung von Kindern und Jugendlichen berät und sich auch überregional an bildungspolitischen Themen beteiligt.

Die SG Weiterstadt betreibt einen eigenen Sportkindergarten.
Die SG Weiterstadt betreibt einen eigenen Sportkindergarten. Bild: SG Weiterstadt

Gießelbach: „Sportvereine haben aus unserer Sicht nicht nur einen sport- und gesundheitsorientierten Zweck. Viele unserer Kinder betreuen wir mit hohem Aufwand, teilweise je nach Sportart bis zu 10 bis 12 Stunden pro Woche. Dabei wirken wir auch erzieherisch – besonders in den Bereichen Sozialisierung und Gemeinschaftsorientierung. Die SG Weiterstadt vertritt die Vereine der Stadt im Bildungsbeirat und bringt unsere Sichtweise auf Bildung und Erziehung sowie unsere Möglichkeiten der Mitarbeit ein. Ein gutes Beispiel dafür ist die Kooperation mit Schulen und Kindergärten im Rahmen der zunehmenden Ganztagsbetreuung.“

Darüber hinaus betreibt die SG Weiterstadt seit 1991 in freier Trägerschaft einen eigenen Sportkindergarten, der zwar ein eigenes pädagogisches Konzept verfolgt, aber dennoch in enger Kooperation mit anderen städtischen Einrichtungen betrieben wird. Gießelbach: „Der Name Sportkindergarten drückt die enge Verbindung zum Sportverein aus.“

Dabei geht es nicht darum, Leistungssport zu betreiben oder das nächste große Talent zu finden, wie Gießelbach betont: „Das Ziel ist eine kindgerechte, aber umfangreiche Bewegungsförderung und Früherziehung. Die Kombination von überdurchschnittlich vielen Räumlichkeiten, großzügigem Freigelände, Sportanlagen in Ergänzung zu unseren aufgeschlossenen und fachlich hervorragend ausgebildeten Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern bietet das ideale Umfeld und hat immer noch Modellcharakter weit über die Landesgrenzen hinaus.“ In insgesamt fünf Kindergartengruppen wird so ein Konzept verfolgt, das eine vielfältige Mischung aus geplanten und offenen Bewegungsangeboten biete – vom ersten Kontakt mit Wasser im vereinseigenen Schwimmbecken, über einen eigenen Streichelzoo, nachhaltige Ernährungsförderung in der eigenen Küche bis hin zu durchdachten Integrations- und Inklusionskonzepten und verschiedenen Workshops rund um den Themenschwerpunkt Nachhaltigkeit. Gießelbach: „Alles dreht sich um Sport, Vielfalt und Gesundheit.“

Das Konzept des Sportkindergartens wurde von Beginn an wissenschaftlich begleitet und laufend aktualisiert. Gießelbach: „Die mittlerweile langjährige Erfahrung zeigt uns, dass mit dem kontinuierlichen Schwerpunkt Bewegungsförderung die andernorts zu beobachtenden gegenläufigen Probleme wie eingeschränkte Bewegungsfähigkeit oder mangelnde sportliche Grundfähigkeiten vermieden werden. Damit ist der Sportkindergarten ein wesentlicher Bestandteil unserer Mission: Sport und Gesundheit für alle.“

Ob ökologisch nachhaltige Infrastrukturprojekte, der starke Fokus auf den ressourcenschonenden Betrieb bis hin zur künftig angestrebten Autarkie, die vielfältigen inklusiven, integrativen und pädagogischen Engagements und die nachhaltige Förderung von Gesundheit, Bildung und Gleichberechtigung auch außerhalb der eigenen Vereinsstrukturen machen die SG Weiterstadt zu einem echten Paradebeispiel für Nachhaltigkeit im Sportverein. Gießelbach: „Man kann – ohne zu übertreiben – behaupten, dass Nachhaltigkeit zum festen Bestandteil des Vereinslebens und Sportbetriebs geworden ist.“ (Sportplatzwelt, 23.06.2023)

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