„Vereinssport könnte sogar von der Pandemie profitieren“

Im Interview spricht Urs Schmidig, Direktor des Sportamts der Stadt Zürich, über die Auswirkungen der Corona-Pandemie auf die Arbeit im Zürcher Sportamt und den Zürcher Sport.

Urs Schmidig
Urs Schmidig Bild: Sportamt Stadt Zürich
Sportplatzwelt: In Deutschland bleiben Sportstätten für den Amateur- und Breitensport aufgrund der Corona-Pandemie bis mindestens Mitte Februar geschlossen. Wie sieht die Situation in der Schweiz aus?
Schmidig: Seit dem 22. Dezember 2020 gelten in der Schweiz Vorgaben, die zwischen Sportaktivitäten von Kindern und Jugendlichen unter 16 Jahren und Sportaktivitäten von Personen ab 16 Jahren unterscheiden. Für Personen ab 16 Jahren gilt: Sportarten mit Körperkontakt sind grundsätzlich nicht erlaubt. Für alle anderen Sportarten sind Trainings in Innenräumen untersagt. Einzel- oder Gruppentrainings bis maximal 5 Personen sind im freien Gelände gestattet. Kinder und Jugendliche unter 16 Jahren können uneingeschränkt in Innen- und Außenräumen trainieren, Wettkämpfe sind allerdings auch nicht gestattet. Für den Spitzensport gelten Sonderregeln.

Das Interview mit Urs Schmidig wurde am 15. Februar 2021 geführt. Da es im Rahmen der Corona-Pandemie auch in der Schweiz immer wieder zu kurzfristigen Änderungen der gesetzlichen Regelungen zur Einschränkung der pandemischen Auswirkungen kommen kann, bilden die Antworten selbstverständlich nur den Status Quo zum Zeitpunkt des Interviews ab.

Sportplatzwelt: Gelten die angeordneten Schließungen ausnahmslos für alle Sportarten und -stätten?
Schmidig: Diese oben genannten Regelungen gelten grundsätzlich für den Individualsport sowie den Breiten- und Amateursport in den Vereinen. Für den Schulsport gibt es zusätzliche Bestimmungen. Und im Spitzensport sind Ausnahmen zulässig.

Sportplatzwelt: Inwiefern ist auch der Schulsport von den Einschränkungen betroffen?
Schmidig: Der obligatorische Sportunterricht in der Volksschule – jedes Schulkind in der Schweiz besucht drei Lektionen Sportunterricht pro Woche – findet wie gewohnt statt. Allerdings müssen die Schülerinnen und Schüler ab der 4. Klasse beim Sport Schutzmasken tragen. Im Kanton Zürich gilt darüber hinaus, dass keine freiwilligen Schulsportangebote durchgeführt werden dürfen. Dies betrifft in der Stadt Zürich zirka 600 wöchentliche Sportkurse und 200 Ferienkurse. Selbstverständlich schmerzt dies aus Sicht der Sportförderung sehr und ist auch für die Kinder ein herber Verlust. Zentral ist aber, dass die rund 34.000 Schülerinnen und Schüler in der Stadt Zürich weiterhin den obligatorischen Sportunterricht besuchen können.

Sportplatzwelt: Wie ist der Zürcher Breitensport bislang durch die Pandemie und die mit ihr einhergehenden Einschränkungen gekommen?
Schmidig: Der Breitensport wurde stark eingeschränkt, in der ersten Welle im Frühjahr 2020 mussten wir alle Sport- und Badeanlagen schließen. Die Wiedereröffnung erfolgte etappenweise. Auch jetzt verunmöglichen die Vorgaben reguläre Trainings für über Sechzehnjährige, vor allem für Teamsportarten, fast komplett. Das ist hart, keine Frage. Zum Glück ist outdoor und einzeln oder in sehr kleinen Gruppen nach wie vor viel sportliche Aktivität möglich.

Sportplatzwelt: Wie hat sich die Situation auf die Mitgliederzahlen der Zürcher Sportvereine ausgewirkt?
Schmidig: Bisher haben wir keine Anzeichen für markante Veränderungen, gehen aber davon aus, dass den Sportvereinen Neueintritte fehlen. Auf längere Sicht könnte der Vereinssport aber gar von der Pandemie profitieren. Aktuell merken viele, wie sehr ihnen die soziale Komponente beim Sport fehlt – das Teamgefühl, die gemeinsamen Trainings und Wettkämpfe, die Zusammenarbeit im Verein. Das könnte künftig eine stärkere Nachfrage nach Vereinsangeboten auslösen. Das wäre natürlich toll.

Sportplatzwelt: Wie lautet Ihr Appell an die Zürcher Vereinssportler?
Schmidig: Neben einem großen Danke an die Adresse aller Vereine, die sich weiterhin engagieren: durchhalten und dranbleiben!

Sportplatzwelt: Viele Vereine haben im Rahmen der Pandemie innovative Online-Angebote geschaffen, um für Ihre Mitglieder auch in Zeiten der Pandemie präsent zu bleiben. Gibt es Projekte, die Sie hier besonders hervorheben wollen?
Schmidig: Da gibt es ganz viele! Ich möchte hier keines speziell herauspicken. Ich bin dankbar für jedes einzelne Angebot, das unter den gegebenen schwierigen Umständen möglich gemacht wurde. Denn ich weiß, wie aufwändig es für die Vereine ist, sich immer wieder an neue Vorgaben anzupassen.

Sportplatzwelt: Hat die Pandemie eventuell auch dazu beigetragen, Digitalisierungsprozesse im Zürcher Sportamt weiter voranzutreiben?
Schmidig: Auf jeden Fall. Alle Mitarbeitenden mit Büroarbeitsplätzen arbeiten aktuell soweit wie möglich im Homeoffice. Wir sind nun sehr geübt in der digitalen Zusammenarbeit. Es gibt aber auch Aufgaben, die sich nicht digital erledigen lassen. Auch hier versuchen wir kreative Lösungen zu finden. Zum Beispiel konnten wir die jährlichen Revisionsarbeiten im Hallenbad Käferberg vorziehen. Für die Revisionsarbeiten wird das Bad sonst jeweils im Sommer für drei Wochen geschlossen. Nun ist es im Sommer offen, sofern es die Pandemiesituation dann zulässt.

Sportplatzwelt: Auch wenn die Infektionszahlen vielerorts rückläufig sind und weltweit großangelegte Impfkampagnen gestartet wurden, ist bis dato noch unklar, wann eine Rückkehr zur Normalität möglich sein wird. Inwiefern wirkt sich diese Unsicherheit auf die tägliche Arbeit Ihres Sportamts und auf die Veranstaltungsplanung örtlicher Veranstalter und Sportvereine aus?
Schmidig: Wenn wir 2020 etwas trainiert haben, dann ist es, uns immer wieder auf schnell wechselnde Situationen einzustellen und neue Vorgaben mit sehr wenig Vorlaufzeit umzusetzen. Ich rechne damit, dass wir noch einige Wochen oder Monate so flexibel arbeiten müssen.

Für Veranstalterinnen und Veranstalter sowie die Sportvereine ist die fehlende Planungssicherheit natürlich sehr schwierig. Viele wollen den Sportlerinnen und Sportlern und dem Publikum Perspektiven in der Pandemie bieten, etwas worauf man sich freuen kann. Gleichzeitig müssen sie das langfristige Überleben der Veranstaltung oder des Vereins sichern.

Sportplatzwelt: Inwieweit haben sich die pandemiebedingten Einschränkungen auf geplante und in der Ausführung befindliche Bauvorhaben der Stadt Zürich im Bereich der städtischen Sportstätten ausgewirkt?
Schmidig: Bisher glücklicherweise noch gar nicht, alle Bauprojekte sind auf Kurs. Einziger Wermutstropfen: Bereits letzten April wollten wir das neue „Sportzentrum Josef“ einweihen. Wir konnten in einer alten Industriehalle temporäre Sportmöglichkeiten mit einer virtuell unterstützten Trainingswelt, zwei Hallen-Fußballfeldern, einem Ninja-Parkour, Kletterwänden sowie Functional Training einrichten. Die Halle ist fertig eingerichtet, nur eröffnen durften wir sie nicht. Die Nutzung wäre für die Bevölkerung kostenlos. (Sportplatzwelt, 15.02.2021)

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