„Anders sein ist immer einfacher als in etwas besser zu sein“

Im Interview erklären Martin Schüttler und Pascal Grüne, Vereinsberater und Hosts des Podcasts „Vereinsstrategen“, wie sich Sportvereine als Marke positionieren können und welche Vorteile eine konsistente Markenstrategie und -kommunikation auch kleinen Amateursportvereinen bieten kann.

Martin Schüttler
Martin Schüttler Bild: Die Vereinsstrategen
Sportplatzwelt: „Echte Liebe“, „Mia san mia“, „Spürbar anders“ – was bei den großen Clubs der Bundesliga längst gang und gäbe ist, kann auch im Kleinen funktionieren. Warum ist es auch für Amateursportvereine wichtig, sich als Marke zu positionieren?
Schüttler: Sportvereine konkurrieren um die freie Zeit und das Budget von Menschen aus ihrem Umfeld. Die Vielfalt an Angeboten im und abseits des Sports werden dabei immer größer.  Heute stehen mit Netflix, Fitnessstudios und Co. viele andere Angebote rund um die Uhr zur Verfügung. Große Firmen investieren Millionen in den Aufbau und die Entwicklung ihrer Marke. Da müssen wir als Sportvereine erst einmal mitkommen.

Markenbildung verfolgt im Schwerpunkt zwei Ziele: Zum einen die Abgrenzung und Unterscheidung von anderen Vereinen und deren Angebote. Zum anderen, dass sich Personen an einen Verein und sein Angebot erinnern können. Wenn diese beiden Faktoren erfüllt sind, habe ich bei der Positionierung und meiner Markenbildung gute Arbeit geleistet. Sich mit dem Thema zu beschäftigen, ist deswegen aus unserer Sicht notwendig, um wahrgenommen zu werden.

Die gute Nachricht lautet zum Glück: Kein Verein startet bei null! Jeder Verein hat in irgendeiner Weise ein Bild von sich entwickelt und gelebt, steht also im Gedächtnis von Personen für etwas. Das kann gute Jugendarbeit sein, aber auch einfach die extreme Herzlichkeit der Ehrenamtlichen kombiniert mit der regionalen Bratwurst beim Bezirksligaspiel auf dem Sportplatz. Diese Bestandteile einer Marke sind auf natürliche Weise mit der Zeit entstanden und können sich verändern. Das hat allerdings nichts mit gezielter Positionierung und Markenbildung zu tun, sondern geschieht nebenbei. Geht man das Thema regionale Marke gezielter an, ist hierfür ein mehrstufiger Prozess notwendig, der einige Zeit in Anspruch nehmen kann, bis die gewünschten Attribute in den Köpfen der Bürgerinnen und Bürger angekommen sind.

Pascal Grüne
Pascal Grüne Bild: Die Vereinsstrategen
Sportplatzwelt: Warum ist es bei der Markenbildung zunächst entscheidend, zu ermitteln, wie der Verein derzeit von den unterschiedlichen Zielgruppen wahrgenommen wird? Inwieweit sollten die Ergebnisse z.B. einer Befragung Grundlage für die zukünftige Markenpositionierung des Vereins sein?
Grüne: Wir hatten gerade über die Beispiele mit der Jugendarbeit und der Bratwurst gesprochen. Wen man den Vorstand oder die Abteilungsleiter befragen würde, wofür der Verein steht, würden sie wahrscheinlich die gute Jugendarbeit aufzählen. Aber die Eltern? Für die Eltern sticht besonders heraus, dass die Organisation des Holens und Bringens der Kinder vom Training optimal organisiert ist. Oder stellen wir uns vor, wir fragen zufällig eine Person aus der Nachbarschaft: Kennt sie den Verein überhaupt und weiß sie dann noch, wofür er steht?

Für die Zuschauer beim Spiel können dagegen die Herzlichkeit und die gute Bratwurst entscheidend sein, um jedes Wochenende zum Sportplatz zu kommen. Ohne eine Befragung würde man darauf aber wahrscheinlich nicht kommen. Um es zusammenzufassen, Befragungen sind aus unserer Sicht absolut notwendig, um die Ausgangslage festzuhalten und verschiedenste Perspektiven kennenzulernen. Dabei werden über die unterschiedlichsten Zielgruppen hinweg gleiche, aber auch unterschiedliche Einschätzungen festgestellt werden. Diese Ergebnisse bieten eine gute Grundlage und dienen der Bestandsaufnahme. Auf Grundlage dieser Daten sollte der Verein dann versuchen, die gewünschten Attribute und Schwerpunkte zu verstärken und die negativen oder ungewünschten Aspekte abzuschwächen bzw. zu beseitigen.

„Das Erste, worüber man sich als Verein klar sein sollte, ist die Frage, ob alle im Verein hinter dem Prozess der Positionierung und Markenentwicklung stehen.“

Sportplatzwelt: Inwieweit ist es bei der Etablierung einer Vereinsmarke entscheidend, sich von anderen Vereinen in der Region abzuheben? Wie gelingt es in der Praxis, sich von der Konkurrenz vor Ort zu unterscheiden?
Schüttler: Das kommt ganz auf die Region und den Verein selbst an. Wenn sich beispielsweise drei Vereine in der Region für eine starke Jugendarbeit im Fußball rühmen und ihre Positionierung hierauf aufgebaut haben, bedeutet womöglich, dass die besten Jugendspielerinnen und -spieler eines Jahrgangs aufgeteilt bei drei Vereinen spielen. Es ist natürlich auch möglich, dass nicht alle drei Vereine mit ihrer Werbung recht haben könnten.

Da muss man als Verein überlegen: Wie kann ich anders als die anderen sein und davon profitieren? Eine Lösung könnte beispielsweise sein, einen Fahrservice beim Training für Spielerinnen und Spieler einzurichten, um so die Eltern der besten Spielerinnen und Spieler wirklich zu überzeugen, bei diesem Verein zu trainieren. So füge ich meiner Marke das Alleinstellungsmerkmal „Rundum-Sorglos-Paket“ hinzu und unterstütze gleichzeitig meinen eigentlichen Markenkern „Gute Jugendarbeit“. Natürlich müssen hier Aufwand und Nutzen in einem guten Verhältnis stehen und man muss sein Versprechen auch einhalten können.

Einen Leitsatz wollen wir den Vereinen auf diesem Weg auf jeden Fall mitgeben: Anders sein ist immer einfacher als in etwas besser zu sein. Wenn meine Positionierung auf den sportlichen Erfolg ausgerichtet ist, muss ich mir bewusst sein, dass es noch diverse andere Teams gibt, die dieses Ziel verfolgen und dafür alle Ressourcen einbringen – ein klassisches Rattenrennen. Werden die gleichen Ressourcen genutzt, um eine andere Marke mit weniger Konkurrenz aufzubauen, wird das deutlich erfolgreicher sein. Deswegen empfehlen wir klar diesen Weg. Statt die Ressourcen nur in die erste Mannschaft zu geben, könnte beispielsweise ein besonderes Augenmerk auf die Integrationsarbeit vor Ort gelegt werden oder es werden zusätzliche Angebote wie eine Hausaufgabenbetreuung über eine FSJ-Stelle angeboten.

„Es wird Zeit brauchen, die Positionierung mit kommunikativen Maßnahmen und Aktionen in die Welt zu tragen.“

Sportplatzwelt: Was sind die wesentlichen Fragen, mit denen sich Vereine bei der Etablierung einer Marke befassen sollten? Warum ist es mit einem Logo, einem Slogan und einer stringenten Corporate Identity nicht getan? Welche Rolle spielt vor allem die interne und externe Kommunikation auf dem Weg zur Vereinsmarke?
Grüne: Ich denke, das Erste, worüber man sich als Verein klar sein sollte, ist die Frage, ob alle im Verein hinter dem Prozess der Positionierung und Markenentwicklung stehen und ein einheitliches Zielbild besteht. Denn dieser Prozess des Anschiebens dauert, bindet Ressourcen und wird sicherlich auch auf Widerstände bei einzelnen Personen stoßen. Da ist viel Kommunikation mit den einzelnen Personen und eine gemeinschaftliche Ausarbeitung im Verein gefragt. Meistens gibt es nach der Befragung der unterschiedlichen Zielgruppen mehrere Möglichkeiten, wie man den Verein positionieren kann. Hier spielt sicherlich auch die Frage eine Rolle: Wer ist meine Konkurrenz und wie hat sie sich positioniert? Weiß ich das zum Beispiel nicht, kann ich mich auch nicht wirkungsvoll abheben.

Wenn die Entscheidung über die zukünftige Positionierung getroffen wurde, muss man sich überlegen, ob die notwendigen Maßnahmen mit den vorhandenen Ressourcen überhaupt umsetzbar sind. Und natürlich ist es immer wichtig, im Laufe des Prozesses zu hinterfragen: Passt diese Positionierung zu mir? Wenn ich feststelle, dass die Mitglieder die Positionierung nicht leben und sich damit identifizieren können, ist es die falsche Positionierung und ich muss nochmal von vorne beginnen. Deswegen sagen wir auch immer: Es ist einfacher auf etwas vorhandenem im Verein aufzubauen, anstatt etwas auf dem Reisbrett zu entwerfen. Vereine sind keine künstlichen Gebilde oder Start-Ups, bei denen man bei null anfängt und sich austoben kann. Authentizität spielt eine große Rolle, wenn wir über Vereine als regionale Marken sprechen.

Wenn sich der Verein schlussendlich auf eine Positionierung verständigt hat, wird es Zeit brauchen, diese auch mit kommunikativen Maßnahmen und Aktionen in die Welt zu tragen. Erst durch diese Maßnahmen wird der Verein mit Attributen aufgeladen und so wird ein Verein schlussendlich eine Marke. Ein Slogan oder auch Logos können hier unterstützen, weil es die Kommunikationsmaßnahmen sind, die Botschaften an Personen herantragen und eine Verknüpfung im Gehirn mit dem Verein erzeugen. Schließlich müssen das Bild und die Werte innerhalb aber auch außerhalb des Vereins konsistent sein, sonst wird es am Ende nicht erfolgreich sein. Stell dir vor, du trittst neu in einen Verein ein und dieser Verein assoziiert dir mit einem Slogan oder Design, dass er modern und digitalisiert ist. Dann möchtest du eintreten und das Erste, was du bekommst, ist ein Mitgliedsantrag in Papierform und bei der Besichtigung der Sportanlagen siehst du einen hohen Renovierungsbedarf. Da denkst du natürlich: Hier passt etwas nicht.

Wir sind aber überzeugt, dass, wenn alle gemeinschaftlich im Verein an der Positionierung arbeiten und die Ergebnisse auch regelmäßig an die Mitglieder kommuniziert werden, der Prozess ein Erfolg wird. Wichtig ist es, auch Einwände zu hören und richtig einzuschätzen. Man wird nicht alle Meinungen bei einem solchen Prozess berücksichtigen können, aber wenn man die Mehrheit überzeugt, ist es ausreichend. Denn wenn intern alle das gleiche Markenverständnis haben, werden sie es auch selbst in Gesprächen nach außen tragen. Schlussendlich steht und fällt jedes Markenversprechen aber auch mit der Umsetzung und dem Leben der Werte. (Sportplatzwelt, 06.09.2023)

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