„Nachhaltigkeitsbelange müssen bei der Planung mitbedacht werden“

Im Interview spricht Ulrike Mai, Vorsitzende der European Ropes Course Association (ERCA), über das nachhaltige Planen und Bauen von Hochseilgärten und Kletterwäldern sowie aktuelle Herausforderungen für Betreiber.

Ulrike Mai
Ulrike Mai Bild: privat
Sportplatzwelt: Welche grundlegenden Punkte gilt es aus Sicht des Umweltschutzes bei der Planung und dem Bau von Hochseilgärten zu beachten?
Mai: Grundsätzlich verändert jede Installation von Sport-, Freizeit- oder Kletterangeboten die Umwelt, sodass Nachhaltigkeitsbelange direkt bei der Planung mitbedacht werden müssen – heute mehr denn je! Aus diesem Grunde enthalten die „ERCA-Industriestandards für temporäre und stationäre Seilgärten“ schon immer entsprechende Passagen, die sich beispielsweise mit dem Schutz von Bäumen befassen. Dabei wird beispielsweise Bezug genommen auf den Schutz der Rinde beziehungsweise der Wachstumsschicht von Bäumen durch Druckbelastungen oder zur Vermeidung von Trittschäden im Wurzelbereich.

Wenn Kletterparks oder Seilgärten nicht direkt im lebenden Wald installiert sind, gibt es ebenfalls Umweltschutzbelange, für die Lösungen in der Planung erarbeitet werden müssen. Dazu gehören Lärmschutzzeiten für Tiere, das Anreise- sowie Parkplatz-Management, um Wiesen und unbebaute Flächen zu schützen oder auch die ordnungsgemäße Entsorgung von Abfällen und Abwässern.

Sportplatzwelt: Gibt es neben der Konstruktion der eigentlichen Kletteraktionen noch mehr in Sachen Umweltschutz zu beachten?
Mai: Insbesondere durch die naturnahe Gestaltung des Umfeldes des Seilgartenbetriebes, durch die Schaffung definierter Rast- und Verweilbereiche und das vorbildliche Verhalten des Personals können Gäste sehr gut für die Schönheit und den Schutz der Natur sensibilisiert werden. Die Tatsache, dass sich Menschen eher für das einsetzen, was sie als Teil von sich sehen, können wir im Sinne des Naturschutzes in den Kletterparks und Seilgärten sehr gut nutzen und in der Gestaltung der Anlagen und der Aktivitäten dort einbinden.

Sportplatzwelt: Welche Waldstücke eignen sich am besten für den Bau eines Hochseilgartens?
Mai: Wenn der Entschluss gefallen ist, den Seilgarten in den lebenden Baumbestand zu integrieren, sollte schon in der Planungsphase die Begutachtung durch Baumsachverständige erfolgen. Nur diese können verlässliche Aussagen zur Nutzbarkeit, Tragfähigkeit, Gesundheit und Wachstumsverhalten der individuell ausgewählten Bäume machen. Sie können auch dabei beraten wie Schutzmaßnahmen auszuführen sind oder wie die Baumpflege auch mit Blick auf die regelmäßig heißer werdenden Sommer ausgestaltet werden soll. Außerdem hat sich auch hinsichtlich der Bautechniken und -materialien viel getan, um die Bäume schonend zu nutzen und sie zu erhalten.

Sportplatzwelt: Welche sicherheitstechnischen Aspekte und Zertifizierungen sollten Hochseilgarten-Betreiber bei der Planung und beim Betrieb ihrer Anlage beachten?
Mai: In den letzten Jahren gab es in unserer Branche viel an technischer Fortentwicklung für Bauteile und Sicherungssysteme. Damit wuchs auch die Komplexität für die Planung und Bauausführung. Um ein Seilgarten- oder Kletterpark-Projekt erfolgreich, langlebig und qualitativ hochwertig zu entwickeln, sollten sich Betreiber an branchenerfahrene Seilgarten-Baufirmen wenden. Mit deren Expertise kann die Einhaltung des länderspezifischen Baurechts, der speziellen Seilgartennorm (DIN EN 15567), vielseitig anderer Baunormen und unserer ERCA-Industriestandards gewährleistet werden.

Sportplatzwelt: Wie regelmäßig und durch wen sollten bzw. müssen entsprechende Inspektionen durchgeführt werden?
Mai: Je nach Bauart und Nutzungsintensität können die Inspektions-Arten und -Intervalle gemäß den Herstellerangaben variieren. Sofern im „Benutzerhandbuch für Betreiber“ nichts anderes vorgesehen ist, sieht die DIN EN 15567 im Teil 1 vor, dass einmal im Kalenderjahr eine „Haupt“-Inspektion durchgeführt werden soll – dazwischen sind visuelle sowie operative Kontrollen und in Wäldern auch Baumkontrollen vorgesehen. Sinnvollerweise sollte für die „Haupt“-Inspektion eine erfahrene und spezialisierte Inspektionsstelle ausgewählt werden. Als europäischer Dachverband haben wir ein Zertifizierungssystem aufgebaut sowie die Qualitätskriterien und Kontakte der ERCA-zertifizierten Inspektionsstellen auf unserer Internetseite veröffentlicht.  Andere internationale Dachverbände bieten ähnliche Zertifizierungen an.

Sportplatzwelt: Wie hat sich die Zahl der Anlagen und Besucher in den vergangenen Jahren in Deutschland entwickelt?
Mai: Wir sind froh, dass sich nach den pandemiebedingten Einschränkungen die Buchungssituation wieder erholt hat. Die meisten Kletterparks uns Seilgärten durften als Outdoor-Anbieter recht bald wieder Angebote für Familien anbieten, was ein wichtiger Ausgleich für die Familien und gut für das psychosoziale Wohlbefinden war – was aber zunächst die benötigten Besuchszahlen während der Arbeitswoche nicht einbrachte. Jetzt erleben wir gerade einen Boom bei den Gruppenbuchungen für Teamtrainings, pädagogische Programme für Schulen und sportlich-freizeitorientierte Gruppen. Daher kommt es derzeit vielerorts zu längeren Vorbuchungszeiten und Betreiber überlegen sogar, die Saisonzeiten auszuweiten. Als Einzelgast oder Familie kommt man eigentlich immer im freizeitorientierten Kletterpark unter, aber man sollte sich vorher unbedingt zum Buchungsablauf informieren.

Sportplatzwelt: Welche Trends haben Sie in den vergangenen Jahren sowohl beim Bau als auch bei der Nutzung von Hochseilgärten und Kletterparks beobachtet? Wie sieht Ihrer Meinung nach der „Hochseilgarten der Zukunft“ aus?
Mai: Neben dem schon beschriebenen Boom, den neben den freizeitorientierten Kletterparks erfreulicherweise auch die traditionellen Seilgärten mit ihren pädagogischen Angeboten für Gruppen gerade neu erleben, hat sich ein Trend entwickelt, der zunehmend Kletter- und Höhenerlebnisse an außergewöhnlichen Orten entstehen lässt. Einerseits werden die Bauweisen ausgefallener und teilweise auch die Herausforderungen größer. Andererseits geht es darum, eine spektakuläre Umgebung im Vorbeifliegen an einer Riesenseilrutsche oder beim Durchklettern im Seilgarten neu aus der Höhe zu erleben. Das Ganze kann in alten Bergwerkschächten oder über den Lavafeldern von Island stattfinden – der Fantasie der Betreiber und Investoren sind eigentlich keine Grenzen gesetzt. Zusätzlich entstehen Seilgärten jetzt auch als Sommeralternative in den Wintersportgebieten.

Besonders hervorheben möchten wir außerdem die Initiativen von BetreiberInnen, die ihre Seilgärten mit besonderer Bauweise und Konzepten im Sinne der Inklusion ausrichten. Dieser sagenhafte Ansatz macht es möglich, dass nahezu alle Menschen auf diesen Seilgärten willkommen sind und in Eigenregie ihr Höhen- und Klettererlebnis erleben dürfen.

Sportplatzwelt: Wie und wo erhalten Investoren oder innovative Unternehmer Unterstützung, wenn sie ein Seilgarten- oder Kletterparkprojekt in Angriff nehmen wollen?
Mai: Als europäischer Dachverband versteht sich ERCA als Netzwerk und Community, um alle AkteurInnen der Seilgartenindustrie dabei zu unterstützen, neue Projekte zu initiieren, kreative Partnerschaften zu formieren und wichtige Rahmenvorgaben in den Bereichen Normierung, Bau, Ausbildung sowie Inspektion zu entwickeln. Im Mitgliedernetzwerk ist sehr viel Erfahrung und Wissen versammelt und es können Kontakte und Austausch zu den verschiedensten Themen der Planung und Umsetzung vermittelt werden. Interessierte oder Investoren dürfen gerne mit ihren Ideen und Fragen auf uns zukommen. (Sportplatzwelt, 24.08.2022)

Weitere News - Nachhaltigkeit

Nachhaltigkeit

In sechs Kursen zum Profi in Sachen Deckenstrahlplatten

Deckenstrahlplatten sind laut Raumklimaspezialist Zehnder die Zukunft der Gebäudetemperierung. Er bietet deshalb Planern, Architekten und Installateuren eine Web-Seminarreihe an. Die halbstündigen Kurse sind kostenlos. mehr

Nachhaltigkeit

Neue Runde für Expertenseminare zur Energiewende

„Wie werde ich ein aktiver Teil der Energiewende?“ – Das erfahren Teilnehmende in der diesjährigen Ausgabe der renommierten Expertenseminarreihe von Kaimann, Oventrop, Reflex, Waterkotte und Zehnder. mehr

Flutlicht

Leuchtenhersteller veröffentlicht mehr als 2.000 EPDs

Signify hat sich verpflichtet, die Umweltauswirkungen seiner gesamten Produktpalette zu veröffentlichen. Das Unternehmen hat bereits über 2.000 Umweltproduktdeklarationen (EPDs) zur Verfügung gestellt, die mehr als 70.000 Produktvarianten weltweit abdecken. mehr

Weitere News - Architekten / Fachplanung

Architekten / Fachplanung

Beachsportanlagen: Planungsgrundlagen

Unter dem Oberbegriff Beachsport verbirgt sich eine Vielzahl verschiedener Sportarten mit starkem Freizeitcharakter. Mit der Professionalisierung vieler Sportarten bis hin zur olympischen Disziplin haben sich auch die Anforderungen geändert. mehr

Aktuelles

Mit dem Sportplatzwelt-Newsletter immer informiert

Der kostenfreie Sportplatzwelt-Newsletter versorgt Sie wöchentlich mit spannendem Hintergrundwissen, exklusiven Interviews, praxisnahen Kostenbeispielen sowie Aktuellem aus der Welt des Breitensports und der Sportverwaltung. Jetzt registrieren! mehr

Aktuelles

Reform des Vergaberechts: Beginn der öffentlichen Konsultation

Das Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz hat am 29. Dezember 2022 die Konsultation der Öffentlichkeit zur avisierten Transformation des Vergaberechts begonnen. Eine Teilnahme ist bis zum 14. Februar möglich. mehr