„Die Stadt als Bewegungsraum ist neu“

Im Interview mit Sportplatzwelt spricht Prof. Dr. Robin Kähler, Vorstandsvorsitzender der IAKS Deutschland und Experte für Sportentwicklungsplanung, über Herausforderungen bei der kommunalen Freiraumplanung.

Robin Kähler
Robin Kähler Bild: privat
Sportplatzwelt: Inwieweit hat die Corona-Pandemie das Bewusstsein für die Bedeutung niedrigschwelliger, kommunaler Sportangebote geschärft? Warum verschließen sich viele Kommunen nach wie vor diesem Trend?
Kähler: Sport und Bewegung im öffentlichen Raum nehmen mittlerweile in vielen kommunalen Verwaltungen und deren Planungen erfreulicherweise einen größeren Raum ein als noch vor zehn Jahren. Natürlich stellen Joggen, sportliches Radfahren, Skaten, Inline, Slackline, Ballsport, Outdoor-Fitness, Scooter u.v.m. eine Herausforderung für ihre Raumplanung dar, da der öffentliche Raum, auch Parkanlagen, bisher nicht als Bewegungsraum, sondern als Verkehrs- und Erholungsraum vorgesehen war. Die Stadt als Bewegungsraum, das ist neu. Diese sportliche Entwicklung nun zu organisieren, Freiräume für Spiel, Sport und Bewegung zu sichern, bedarfsgerecht zu gestalten und dauerhaft zu pflegen, erfordern Geld, politische Unterstützung und fachliche Kenntnisse, also Geduld, Kompetenz und Durchsetzungskraft.

Prof. Dr. Robin Kähler ist bundesweit und international als Experte und Berater für Sportentwicklung tätig. Er hat sich besonders auf Projekte der kommunalen Sportentwicklung und Regionalentwicklung des Sports, einschließlich der dazugehörigen Sport- und Bewegungsinfrastruktur-, der Angebots- und Struktur- und Organisationsentwicklung und Finanzierung und die darin eingeschlossenen Steuerungs-, Moderations- und Managementaufgaben spezialisiert. Er vertritt dabei den nachhaltigen Ansatz einer Integrierte Stadtentwicklung Sport, in der sich der Sport als wesentliches Merkmal für Lebensqualität und Weiterentwicklung der Stadt fachlich in mehrere Disziplinen und Fachbereiche wertvoll einbringt.

Sportplatzwelt: Welche Faktoren sollten Kommunen bei der Standort- und Geräteauswahl für ihr neues Outdoor-Bewegungsangebot zwingend beachten – auch im Hinblick auf spezielle Angebote für Senioren?
Kähler: Hier sprechen Sie ein sehr wichtiges Thema an, das leider bisher noch zu wenig aus Sicht der älteren Menschen durchdacht worden ist. Wer ist denn überhaupt als „älterer“ Menschen gemeint? Mit 75 Jahren ist man, wenn man gesund lebt, heutzutage noch lange nicht „alt“, es sei denn man fühlt sich so. Diese Generation treibt Sport wie alle Jüngeren, hoffentlich nur etwas behutsamer als sie es mit 50 oder 60 Jahren getan hat. Man sieht diese sportlich fitten Seniorinnen und Senioren zwar nicht an den, für junge männliche Erwachsene konzipierten Calisthenics-Kraftsport-Anlagen, aber sie wollen keineswegs für alt gehalten werden. Die Älteren, in ihrer Mobilität eher eingeschränkten Menschen wandern, fahren Rad, machen zu Hause oder im Verein Gymnastik und gehen Schwimmen. Sie spüren ihre zunehmende Beschwerlichkeit und sind froh, dass sie noch vieles selbstständig tun können. Gesundheit, nicht sportliche Fitness steht für sie im Mittelpunkt ihres Bewegungslebens. Bewegung ist für sie ein Mittel, unter Menschen zu sein, sich zu begegnen, gesund zu bleiben und am gesellschaftlichen Leben teilzunehmen. Für diese Altersgruppe halte ich Outdoor-Fitness-Anlagen nur dann für sinnvoll, wenn sie in unmittelbarer Nähe zum Wohnquartier, in schöner Atmosphäre, in sichtgeschütztem Umfeld, barrierefrei zugänglich, gut betreut sind und Sanitäranlagen und Sitzbänke haben. Zudem müssen die Geräte sehr sorgsam nach orthopädischen Gesichtspunkten ausgesucht und völlig angst- und verletzungsfrei nutzbar sein. Deren Planung und Betreuung ist eine sehr spezielle Aufgabe.

„Müssen mehr aus Perspektive der Menschen planen.“

Sportplatzwelt: Warum lässt sich die Herangehensweise der klassischen Sportentwicklungsplanung nur bedingt auf die Planung niedrigschwelliger Bewegungsangebote im öffentlichen Raum übertragen?
Kähler: Eine Sportentwicklungsplanung, die sich konsequent an den Bedürfnissen der Menschen orientiert, die von der Lebenswelt, der Stadtentwicklung und den Freiräumen ausgeht, findet immer gute Lösungen, auch für Outdoor-Anlagen. Denn sie sieht den Sport- und Bewegungsraum als wichtigen Lebensraum des Menschen an. Wenn ich mich bewege und Sport treibe, will ich mich dabei oder zumindest danach wohl fühlen. Sportreiben ist keine fremdbestimmte Arbeit, die ich leiste, sondern ich tue sie freiwillig, gerne und nehme mir Zeit dafür – ich spüre, dass ich lebe, wie ich es will. Die Sportanlage soll daher einladend, freundlich, anregend auf mich wirken und nicht als „Arbeitsraum“. Wir müssen die Sportentwicklungsplanung daher umdenken, mehr aus der Perspektive der Menschen mit ihren Bedürfnissen planen. Das bedeutet auch, die Vielfalt der Bedürfnisse zu berücksichtigen. Das Sport- und Bewegungsverhalten unterscheidet sich zwischen den Geschlechtern und Altersgruppen, Menschen aus anderen Kulturen, Menschen mit Beeinträchtigungen und erlebten sozialen Belastungen und wirtschaftlichen Möglichkeiten erheblich. Wenn man Sportanlagen und -geräte nur als technisch genormte Objekte sieht, die für sich einen Zweck erfüllen, plant man an den Menschen vorbei und wundert sich, wenn Geräte oder Anlagen kaum oder nur von wenigen genutzt werden.

„Sport ist ein fachliches und politisches Querschnittsfach.“

Sportplatzwelt: Welche weiteren Faktoren und Akteure sollten im Sinne einer zeitgemäßen, interdisziplinären Sportraumplanung involviert werden?
Kähler: Sport ist ein fachliches und politisches Querschnittsfach; das muss sich auch in der kommunalen Verwaltung widerspiegeln. Wenn eine kommunale Verwaltung klug ist, dann plant sie daher intersektoral, das heißt, sie arbeitet projektorientiert und förmlich mit allen Fachämtern zusammen, die für Planung und Umsetzung einer Sportanlage zuständig sind: Sport, Grünplanung, Schule, Soziales, Stadtplanung, Immobilienwirtschaft, Verkehr, Gesundheit, Finanzen. Zwar wird informell, also auf der Ebene der persönlichen Kontakte, zwischen den Ämtern auch jetzt schon gut gearbeitet. Aber es braucht eine projektorientierte, förmliche Struktur, die eine interne Abstimmung und gemeinsame Betreuung eines Vorhabens vorsieht. Am besten ist es, wenn man in der Kommunalverwaltung für jedes Sport-, Spiel- und Bewegungsprojekt eine temporäre Projektgruppe hätte, die mit Budget ausgestattet ist und die Planung, Umsetzung und nachhaltige Nutzung des Vorhabens gemeinsam betreut. Das kostet zwar mehr Zeit und möglicherweise damit auch mehr Geld. Aber die Kosten für Fehlplanungen sind bei weitem höher.

Alles rund um Planung, Bau und Betrieb von Freizeitanlagen und urbanen Bewegungsräumen finden Sie im KOMPENDIUM FREIZEITANLAGEN. Das Standardwerk rund um Outdoor-Fitness- und Calisthenics-Anlagen, Bewegungsparcours, Skateparks und viele weitere niedrigschwellige Sportangebote im öffentlichen Raum erscheint im September und kann jetzt im Online-Shop vorbestellt werden.

Sportplatzwelt: Warum ist es mit der Installation einer Anlage nicht getan? Welche Punkte müssen Kommunen auch im laufenden Betrieb beachten?
Kähler: Wenn man sich anschaut, wie eine Sportanlage, die eine Kommune mit viel Geld und großer Beteiligung vieler Akteure und Fachleute geplant hat, tatsächlich von den Menschen genutzt wird und wie sie nach ein paar Jahren aussieht, dann erkennt man schnell die Qualität aber auch die Fehler einer Planung. Gut gemeint ist noch nicht bedarfsgerecht und richtig geplant. Der nachhaltige Betrieb der Anlage, deren Pflege, Nutzung, Betreuung und Weiterentwicklung müssen bereits Teil der Planung sein und nicht erst danach beginnen, wenn es Probleme gibt. Allein der Standort legt fest, wer sie nutzen wird. Ist er sicher genug, dass auch Frauen dorthin gehen? Können ihn auch Kinder aufsuchen, wirkt er gepflegt, ist er gut besucht und daher sozial kontrolliert, wird er beworben und finden dort Kurse statt? Sportanlagen im urbanen Raum sind keine isolierten Sport-Inseln, sondern müssen, wenn sie Bestand haben und langfristig ihren Zweck erfüllen sollen, organisch eingebettet sein in das räumliche Umfeld und die Lebenswelt der Menschen im Quartier mit ihren Organisationen und Einrichtungen wie z.B. Schulen, Kindergarten, Sportvereine, Altenheime u.a. Es ist ratsam, dass sie in der Stadtverwaltung als Daueraufgabe fachlich betreut und nicht nur als Kostenstelle verwaltet werden. Das sagt sich aber leicht. Den Ämtern fehlen in der Regel die hierfür notwendigen Finanzen und das Fachpersonal. Leider hat der Sport innerhalb der kommunalen Verwaltungen und Politik als „freiwillige Aufgabe“ nicht die ihm zustehende Bedeutung und wird unterfinanziert. Das muss sich ändern.

Sportplatzwelt: Gemeinsam mit der Stadt Köln haben Sie vor einigen Jahren eine zeitgemäße Sportentwicklungsplanung erarbeitet. Was waren die wesentlichen Besonderheiten und wie bewerten Sie die Umsetzung?
Kähler: Köln ist für mich eine Modellstadt geworden, wie man eine Sportentwicklungsplanung durchführt und, was viel wichtiger ist, sie auch konsequent umsetzt. Dort kam etwas zusammen, was zusammengehört: Der einvernehmliche politische Wille, den Sport zu fördern, das große Engagement des Stadtsportbundes Köln, der neue Verantwortung übernommen hat, die Stadtspitze mit ihren Dezernenten, die die Chance der Sportplanung für die Stadtentwicklung erkannt und konsequent unterstützt hat, vor allen Dingen aber auch die weitsichtige Sportverwaltung, die sich innovativ mit der Sportentwicklung auseinandergesetzt, die richtigen Entscheidungen gefällt hat und  die Umsetzung der Planungen mit höchstem Einsatz vorantreibt. Schließlich die Bevölkerung, die selbst begeistert Sport treibt und das Projekt wollte. Und unser Team. Es wurden kluge, innovative und machbare Modellprojekte entwickelt, um zu zeigen, wie Köln zeitlich schnell, sichtbar und wirkungsvoll den Sport in den Kölner Veedeln verbessern kann. Es wurden aber auch verwaltungsinterne Reformen umgesetzt, Strukturen optimiert und neue geschaffen. Schließlich konnten erhebliche Finanzmittel zusätzlich für den Sporthaushalt gewonnen werden. Die Sportentwicklungsplanung hat dem Kölner Sport einen großen Schub gegeben. Der Sportverwaltung wurden allerdings neue Aufgaben und Arbeit aufgebürdet, die nun zusätzlich bewältigt werden müssen.

Sportplatzwelt: Wie bewerten Sie die aktuelle Unterstützung seitens Politik und Fachverbänden – etwa durch aktuelle Förderprogramme oder Beratungsangebote?
Kähler: Ich sehe viele Vereine, die keine hauptamtliche Geschäftsführung haben – und das ist die weitaus größte Zahl aller Vereine – im Augenblick in einer kritischen Phase ihrer Entwicklung. Das trifft ganz besonders auf diejenigen zu, die eigene Sportanlagen bewirtschaften, aber zu wenig Einnahmen haben, diese zu sanieren oder weiterzuentwickeln. Kommunen fördern zwar deren Investitionen, aber die Zuschüsse sind oft bei weitem zu gering. Diese Vereine müssten ihre Anlagen aber jetzt modernisieren und ihr Sportangebot bedarfsorientiert weiterentwickeln, um attraktiv zu bleiben. Es gibt zwar Förderprogramme der Bundesländer und der Bundesregierung, was sehr zu begrüßen ist. Aber wenn diese keine 100-prozentige Förderung des Vereinssports durch den Fördermittelgeber, sondern eine Mitfinanzierung der Kommunen vorsehen, entscheidet die kommunale Politik und Verwaltung, ob und was gefördert wird. Dort hat der Sport aber keine gute Lobby. Förderprogramme werden oft zu kurzfristig aufgelegt, die Anträge sind zu kompliziert und die Förderentscheidungen zu politisch ausgerichtet. Ein ehrenamtlich geführter Verein oder eine kleine Kommune ohne Fachpersonal oder Beziehungen sind kaum in der Lage, an die Fördergelder zu kommen. Die Sportorganisationen beraten die Sportvereine zwar gut, eine Investition z.B. eines Kunstrasens für den Fußballplatz belastet den Verein trotz Förderung aber mit Finanzierungskosten von ca. 300.000 Euro auf 30 Jahre, wobei nach ca. 12 Jahren der Belag für 150.000 Euro ausgetauscht werden muss. Das bedeutet für diesen, ein hohes Risiko einzugehen.

Daher schlage ich auch vor, dass die Kommune gemeinsam mit den Vereinen eine Sportstättenplanung und -förderung unternimmt, die sich an den nachgewiesenen Bedürfnissen der Menschen in der Kommune und den Zielen der Stadt orientiert. Die Vereine sind als soziale Institutionen für das Leben vieler Menschen sehr wichtig. Wir müssen aber auf kommunaler Ebene zunächst Kriterien für eine nachhaltige, sich an die Entwicklung der Kommune (und ihrer Finanzen) ausgerichtete Sportförderung erarbeiten, diese politisch beschließen und danach handeln. Ich bin sehr optimistisch, dass wir mit einer besser abgestimmten, sinnvollen Planung wesentlich mehr im Sport erreichen als bisher. (Sportplatzwelt, 04.08.2022)

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