„Wir brauchen mehr strategische Formen der Zusammenarbeit“

Im Interview spricht Andreas Silbersack, Vizepräsident Breitensport und Sportentwicklung beim DOSB, über die Folgen der Corona-Krise für den Breitensport und seiner Bedeutung für Kommunen.

Andreas Silbersack
Andreas Silbersack Bild: Frank May, DOSB
Sportplatzwelt: Wie ist der deutsche Sport aus Ihrer Sicht bisher durch die Corona-Krise gekommen? In welcher Hinsicht kann er vielleicht sogar gestärkt aus ihr kommen?

Silbersack: Wer hätte zu Jahresbeginn gedacht, dass jegliche sportliche Aktivität und soziale Begegnung in den rund 90.000 deutschen Sportvereinen aufgrund der weltweiten Corona-Pandemie untersagt wird. Die einschneidenden Beschränkungen für den Gesundheitsschutz aller haben Sporttreibende, Sportverbände und Sportvereine in hohem Maße solidarisch mitgetragen. Doch im Verlauf der „Lockerungsdiskussionen“ wurde die wichtige Rolle des gemeinwohlorientierten Sports für den gesellschaftlichen Zusammenhalt und zur Erhaltung von Gesundheit und Mobilität der Menschen überdeutlich. Der DOSB und seine Mitgliedsorganisationen haben im Verlauf der schrittweisen Öffnung einen zentralen Beitrag zu einer verantwortlichen Wiederaufnahme des Breitensports sowie des Trainings- und Wettkampfbetriebs geleistet und sorgen mit klugen Konzepten dafür, dort wo es möglich ist, den Sportbetrieb verantwortungsbewusst und unter Berücksichtigung des Gesundheitsschutzes zu ermöglichen. Eine solche medizinische, soziale und ökonomische Krise globalen Ausmaßes hat es zu unseren Lebzeiten noch nicht gegeben. Noch nie wurden Olympische Spiele verschoben, noch nie wurden Menschen auf der ganzen Welt aufgefordert zu Hause zu bleiben, noch nie war die Menschheit in ihrer Gesamtheit derart umfassend auf die schnelle (Weiter-) Entwicklung von Medikamenten und Impfstoffen angewiesen.

Lesen Sie hierzu auch das Statement von Andreas Silbersack, DOSB-Vizepräsident für Breitensport und Sportentwicklung, zum Status Quo der deutschen Sportstättenlandschaft und der Bedeutung von Sportvereinen für Kommunen und Stadtentwicklung.

Wie bereits vor Monaten befürchtet, hält die Corona-Pandemie weiter an und von Woche zu Woche werden die befürchteten und prognostizierten Kollateralschäden in SPORTDEUTSCHLAND täglich sichtbarer. Angesichts zum Teil deutlich steigender Neuinfektionen und einer damit einhergehenden erneuten Verunsicherung bei Entscheider*innen in der Politik und auch bei vielen Mitgliedern in den Sportvereinen und Sportverbänden, werden wir wohl den Kurs des „auf Sicht Fahrens“ noch für längere Zeit beibehalten müssen.

Umso wichtiger ist es aus unserer Perspektive, die entstehenden Schäden im Sport konkret und transparent zu machen und gleichzeitig die unglaublich große Solidarität im deutschen Sport mit seinen rund 90.000 Vereinen und unseren 100 Mitgliedsorganisationen zu kommunizieren. Die Tatsache, dass die Vereine, Verbände und Veranstalter derzeit (noch) nicht flächendeckend und umfangreich auf staatliche Unterstützungsprogramme zurückgreifen, kann nach unserer Überzeugung nicht als Beleg für fehlende Schäden herangezogen werden. Stattdessen werden die Probleme zunächst vor Ort, aus Rücklagen und „Bordmitteln“ sowie mit großem ehrenamtlichem Engagement aufgefangen. Hierfür gilt allen Engagierten ein großes Dankeschön! Unter einem Schaden verstehen wir aber auch, dass Angebote nicht mehr in der bisherigen Form weitergeführt werden können, was deutliche Auswirkungen auf die Mitgliederentwicklung in den nächsten Jahren haben dürfte.

SPORTDEUTSCHLAND hat einen immer schwierigeren Spagat zu bewältigen: Wir nehmen einerseits unsere Verantwortung konsequent wahr und tragen die erforderlichen Maßnahmen zum Schutz der Bevölkerung seit Beginn der Pandemie solidarisch mit. Fakt ist jedoch auch, dass jede Verlängerung der Einschränkungen im Sport eine erheblich wachsende Gefahr für Vereine, Verbände, Ligen sowie Veranstalter und damit für die Vielfalt von ganz SPORTDEUTSCHLAND bedeutet. Zugleich reduziert es die Möglichkeiten des Sports, die Krise aus eigener Kraft zu bewerkstelligen. Ohne Unterstützung von Bund, Ländern und Kommunen werden wohl zahlreiche betroffene Sportorganisationen mehr und mehr massiv in ihrer Existenz bedroht. Um der Politik positive Beschlüsse im Sinne des Sports zu ermöglichen, werden wir gemeinsam mit unseren Mitgliedsorganisationen und Veranstaltern weiterhin an verantwortungsbewussten Hygienekonzepten arbeiten.

Sportplatzwelt: Welche Rolle hat für Sie der Sport in Bezug auf das Thema Stadtentwicklung?

Silbersack: Man könnte diese Frage auch anders stellen: Was macht eigentlich eine lebenswerte Stadt aus? Eine lebenswerte Stadt muss heute nicht mehr nur die zentralen Bedürfnisse der Menschen befriedigen und entsprechend Infrastruktur für Arbeit, Wohnen und Mobilität vorhalten. Darüber hinaus müssen Städte zukünftig noch stärker als bisher über wohnortnahe attraktive öffentliche Räume für Kultur sowie natürlich für Sport, Spiel und Bewegung verfügen.

Die Verbesserung der Lebensqualität vor Ort setzt ausreichende und zeitgemäße Sporträume für alle Alters- und Bevölkerungsgruppen voraus. Das Leitbild einer „sportfreundlichen Stadt“ sollte in Zukunft eine noch viel höhere politische und planerische Bedeutung bekommen. Unsere Kommunen stehen vor vielfältigen Herausforderungen: vom demografischen Wandel über sozialräumliche Polarisierungen und Bildungsreformen bis hin zur Zunahme lebensstilbedingter Erkrankungen. Die herkömmlichen öffentlichen Steuerungsinstrumente zur Gestaltung dieser Herausforderungen reichen schon lange nicht mehr aus.

Die Stadtentwicklung in Deutschland braucht neue Partner – starke Partner, wie die rund 90.000 Sportvereine unter dem Dach des Deutschen Olympischen Sportbundes (DOSB). Unser flächendeckendes Vereinsspektrum trägt in hohem Maße zum Gemeinwohl in Deutschland und zum Kitt unserer Gesellschaft bei. Sportvereine sind größter Kooperationspartner von Ganztagsschulen und Jugendämtern, Anbieter von Sport und Bewegung für Ältere und Hochaltrige sowie Integrationsmotor für Menschen mit Migrationshintergrund. Sport und Sportvereine machen Städte und Gemeinden zu Orten mit hoher Lebensqualität und sind Deutschlands größter Präventionsanbieter. Die Sportvereine haben ihr Angebotsspektrum stark ausgeweitet, ihre Leitbilder modernisiert und auf eine differenzierte Gesellschaft hin ausgerichtet, Qualifizierungskonzepte weiterentwickelt und an vielen Stellen Instrumente des Qualitätsmanagements eingeführt. Durch dieses vitale, flächendeckende System leistet der Sport angesichts eines beschleunigten sozialen Wandels mit seinen vielfältigen Innovationspotenzialen einen zentralen Beitrag zum Gemeinwohl in Deutschland.

Sportplatzwelt: Wie bewerten Sie grundsätzlich die Zusammenarbeit zwischen Sportvereinen und Kommunen in Deutschland?

Silbersack: Die Kooperation zwischen Sport bzw. Sportvereinen und der Stadtentwicklung ist eine klassische „Win-win-Situation“. Die Sportvereine erweitern durch Zusammenarbeit ihre Handlungsmöglichkeiten und verbessern ihre Zukunftsfähigkeit. Und Stadtplanung und -entwicklung haben bereits verstanden, dass ohne bürgerschaftliches Engagement die zentralen Probleme allein durch den Staat und die Stadt nicht gelöst werden können.

Auf dieser Basis kann man aufbauen: Wir brauchen noch mehr strategische und „festere“ Formen der Zusammenarbeit, denn noch zu häufig bestimmt der Zufall darüber, ob sich eine gelingende Kooperation aufbaut. Die Sportorganisationen müssen auf Kommunalpolitik und -verwaltung zugehen und diese auf die Vereine! Ich würde mir wünschen, wenn die Instrumente der Städtebauförderung den Sport und die Sportvereine noch umfassender berücksichtigen würden.

Wir haben vor einigen Jahren mit dem Deutschen Städtetag und dem Deutschen Städte- und Gemeindebund eine Kooperationsvereinbarung unter dem Titel „Starker Sport – starke Städte und Gemeinden“ abgeschlossen. So benennt diese Kooperationsvereinbarung Handlungsfelder, die mit Priorität bearbeitet werden. Hierzu zählen u.a. die vielfältigen Beiträge des Sports zur Verbesserung der Lebensqualität von Stadtteilen, die gesundheits- und präventionspolitischen Potenziale der 90.000 Vereine sowie das umfangreiche Bildungs- und Integrationsspektrum des Sports.

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